Interview zum Action-Adventure „Beyond: Two Souls“: „Die purste Form von Schauspielerei“

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2000 Seiten Drehbuch und nur drei Monate Zeit: „Du musst jeden Tag eine komplette TV-Episode abdrehen, das ist eine wahnsinnige Herausforderung. Es war ein echtes Schauspiel-Bootcamp“ resümiert Hollywood-Star Ellen Page.

Page („Inception“, „X-Men: Days of Future Past“) ist die Hauptdarstellerin des PS3-exklusiven Action-Adventures „Beyond: Two Souls“.

Von Benjamin Kratsch 

Co-Star Willem Dafoe („Spider-Man“, „Platoon“), der ihren Ziehvater, den Wissenschaftler Nathan Dawkins spielt, bezeichnet die Arbeit an Sonys bislang wohl aufwendigstem Videospiel-Projekt als „purste Form von Schauspielerei“.

Warum ihn der leere Raum mit den 70 Hightech-Kameras an seine Zeit beim Improvisationstheater erinnert hat und wie Chefdesigner David Cage die Spiele-Industrie mit Ideen von Meister-Regisseur Martin Scorsese („Good Fellas“, „Taxi Driver“) revolutionieren will, darum geht es im exklusiven Gespräch mit dem Kreativ-Trio, das wir nach der „Beyond“-Premiere in Paris geführt haben.

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Das Skript von „Beyond“ ist mit 2000 Seiten wohl locker zehn Mal so lang wie normale Drehbücher. Was konntest Du aus der Erfahrung als Schauspieler mitnehmen?

Willem Dafoe: Es ist die wohl purste Form von Schauspielerei, die ich seit vielen, vielen Jahren erlebt habe. Im Grunde gibt es nur dich in diesem leeren Raum, vielleicht noch ein paar Holz-Kulissen und zwei, drei Charaktere und die Schauspielerei. Nichts lenkt ab: Kein Beleuchter, kein Kameramann, kein Visagist, keine Set-Konstrukteure. Ein Hollywood-Set ist meist eine Großbaustelle, bei der an der einen Stelle gedreht wird, während wenige Meter weiter noch an der nächsten Kulisse getüftelt wird.

Hier in Paris war es immer so still, fast schon familiär mit David und einem sehr kleinen Team. Wir waren maximal mit zehn Leuten in diesem Raum, und auch wenn er mit 70 Kameras ausgestattet ist, vergisst du die erstaunlich schnell. Während des Drehs bist du natürlich hundertprozentig konzentriert, aber in den Pausen musste ich immer wieder an meine Zeit bei Theatre X in Milwaukee denken. Ich gehörte ja zum ersten Ensemble, und wir haben großartige Stücke aus dem Nichts aufgeführt. Experimentell eben, avantgardistisch — mal mit edlen Sets, mal gebaut aus reiner Fantasie.

So ähnlich war auch die Arbeit an Beyond. Und ich dachte nur immer: Warum bauen wir in Hollywood für hunderttausende US-Dollar ein Set, nur um es zu zerstören, wenn es auch mit ein paar Spanplatten und viel digitaler Nachbearbeitung geht?

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Die Digitalisierung Hollywoods ist ein spannendes Thema. Sind die Unterschiede in der sogenannten Post-Production, also der Nachbearbeitung, eigentlich noch so groß?

Willem Dafoe: Ganz ehrlich: Ich bin kein Gamer, und ich habe wenig Ahnung von Computern. Als ich hier den kreativen Leuten bei Quantic Dream (die „Beyond“-Entwickler, Anmerkung der Redaktion) über die Schultern geschaut habe, war ich einfach nur baff. Ich habe den Mund fast nicht mehr zu bekommen, als da plötzlich eine digitale Figur rumlief, die mir wie aus dem Gesicht geschnitten aussah. Ich meine, du bleibst immer Schauspieler, aber das fühlt sich unglaublich echt an.

Um auf die Frage zu antworten: Hollywood ist deutlich weniger digital, als die meisten denken. Wir haben für Spider-Man erstaunlich wenig mit Greenscreens gedreht, sondern eigentlich sehr klassisch: Ständig hing ich an irgendwelchen Drähten und Seilen, wurde durch die Luft katapultiert und bin „geflogen“. Auch die meisten Explosionen werden von Pyro-Technikern geplant und lediglich digital aufgemotzt. Die Post-Production ist natürlich extrem wichtig für den Look des Films und die Schärfe der Bilder, aber die Basis stammt schon immer noch von echten Menschen (er grinst).

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Ellen, wie war das bei „Inception“? Dort gibt es sehr viele Szenen, die man eigentlich nur mit Greenscreen drehen kann, oder?

Ellen Page: Ich würde da Willem Recht geben: Wann immer es geht, drehen Regisseure alles real nach. Als wir mit dem Van die Brücke runterkrachen und im Wasser aufschlagen — das war alles echt. Wir haben die Szene in einem riesigen Bassin gedreht, wo der Van an Stahlseilen gesichert ins Wasser rutscht und mit viel Druck aufschlägt. Ich glaube, es ist unfassbar schwer, Wellen realistisch zu animieren, da nimmt man doch lieber echte. Generell ist Christopher (Nolan, Regisseur von Inception, Anmerkung der Redaktion) ein Typ, der gerne etwas in den Händen hält. Alle Sets wurden real nachgebaut und dann nur am PC veredelt.

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Das hat mich übrigens am meisten an diesem ganzen Gaming-Thema fasziniert: Du kannst ja wirklich aus Nichts Alles machen. Ich meine für diese eine Hotelszene, bei der sich das Gebäude dreht, wurde ein Hotel auf einem drehbaren Gerüst gebaut. Das Set war so groß wie ein Flugzeughangar, damit auch die Kameracrews genug Platz zum Arbeiten hatten. David hingegen würde uns auf eine drehbare Holzbank setzen und die Kamera drum herum schwenken. Games sind ein Medium, dem keine Grenzen gesetzt sind.

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David, wie siehst du das? Hast du dich in deiner Arbeit je limitiert gefühlt, oder ist wirklich alles digital machbar? 

David Cage: Es ist einfacher und schwieriger zugleich, Spiele zu entwickeln, als Filme zu drehen (er grinst). Es ist einfacher, weil wir alles in Paris drehen konnten. Wir müssen nicht 300 Leute durch die ganze Welt fliegen, wir können ergo sehr stationär arbeiten. Das freut Sony, wir müssen dann keine 100 Millionen Dollar ausgeben, um ein derart mächtiges Werk zu schaffen.

Auf der anderen Seite sind Spiele aber viel komplexer: Es müssen mehr Mechanismen ineinander greifen, schließlich ist es voll interaktiv. Viele Spiele arbeiten ja mit dem klassischen Game Over: Mission fehlgeschlagen, neu starten, bitte. Das gibt’s bei uns nicht. Wenn du einen Fehler machst und dich von einem SWAT-Team gefangen nehmen lässt, dann musst du nicht neu starten, sondern findest dich einfach in einer anderen Szene wieder.

Diese Interaktion ist wunderbar, sie ist es, die Spiele auszeichnet und so viel immersiver macht als Filme oder TV-Serien, aber es nimmt uns auch einige Stilmittel. Schauen wir uns ‚Breaking Bad‘ an, dann ist das im Grunde klassisches Autorenkino in Form einer TV-Serie. Sie nutzen Stilmittel, die Martin Scorsese mal entwickelt hat. Diese speziellen Kamerafahrten sind schwierig in Spielen, weil sie Dich von Deiner Figur wegreißen. Du kannst also nicht einfach mal ein paar Minuten einen anderen Charakter zeigen und diese mehrspurige Story-Autobahn bauen.

Ich denke, das ist es, was uns an Breaking Bad fasziniert: Wir wissen nicht, was als nächstes passiert. Diesen Effekt versuchen wir zu erreichen, indem wir die Zeitleiste bunt durchmixen, mitunter auch verwirren, dann wieder erklären, aber letztlich auch viel Spielraum für eigene Interpretation lassen.

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Bitte lächeln! Die „Beyond“-Hauptakteure posieren gemeinsam mit plassma-Autor Benjamin Kratsch — nur Ellen Page schaut etwas skeptisch in die Kamera.

Vielen Dank für das Gespräch.

Erschienen am 08. Oktober 2013 bei T-Online