„Deutschland könnte ein ganz toller Entwicklerstandort sein“

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Gespräch mit Jan Klose, Kreativleiter Deck13, und Ralph Stock, CEO Promotion Software, 16 Tons Entertainment und Serious Games Solutions.

Von Sönke Siemens/bpf

Jan Klose arbeitet als Kreativdirektor beim Frankfurter Studio Deck13 („Ankh“, „Jack Keane“) und ist Mitgesellschafter des Unternehmens. Mit IGM spricht er über die schwankende Attraktivität des Entwicklerstandorts Deutschland und den damit einhergehenden Handlungsbedarf in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Im gleichen Gespräch lassen wir einen weiteren langjährigen deutschen Entwickler zum Standort Deutschland zu Wort kommen. Ralph Stock verdiente sich seine Sporen bereits als 14-Jähriger, zunächst mit dem C64-Adventure „Der Stein der Weisen“. Stock ist mittlerweile das Aushängeschild von gleich drei hierzulande ansässigen Firmen: Promotion Software, 16 Tons Entertainment und Serious Games Solutions.

IGM: Herr Klose, wie zufrieden sind Sie mit Deutschland als Entwicklerstandort? Fühlt sich Deck13 hier wohl, um ein so großes Projekt zu stemmen wie aktuell das Taktik-Action-Rollenspiel „Lords of the Fallen“?

Lords of the Fallen - Screenshot

Hart, aber fair: „Lords of the Fallen“ von Deck13 für PS4, Xbox One und PC schlägt spielerisch in die gleiche Kerbe wie „Dark Souls“, setzt jedoch viele ganz eigene Akzente.

Jan Klose: Im Grunde genommen könnte Deutschland ein ganz toller Entwicklerstandort sein, wenn man mehr an den Rahmenbedingungen arbeiten würde. Aktuell sind wir jedoch sehr weit weg von einem konkurrenzfähigen Standort. Es gibt inzwischen Ausbildungen, die auch langsam ihren Namen verdienen, sodass wir schon eine gute Anzahl an Mitarbeitern über die Games Academy und andere Ausbildungswege gewonnen haben. Vor acht bis neun Jahren wäre das überhaupt nicht denkbar gewesen. Von daher hat bereits eine starke Professionalisierung stattgefunden. Allerdings hält die sich auf einem, ich sage mal „branchenbezogenen Rahmen“. Sobald es um Themen wie Finanzierung und sämtliche andere Förderungen geht, sobald es um kulturelle Ereignisse oder die kulturelle Wahrnehmung von Games geht, hinkt Deutschland anderen Ländern sowas von hinterher, dass es schon wirklich peinlich ist für ein so hoch entwickeltes Land mit so guten Ingenieuren und so guter Ausbildung. Meiner persönlichen Meinung nach wird hier – schon seit Jahrzehnten muss man sagen – ein Industriezweig verkannt, den man entwickeln und aufbauen könnte, es aber nur in sehr geringem Maße tut. Ich freue mich sehr über die Entwicklungen, die stattfinden. Wir haben ja auch mit Florian Stadlbauer jemanden, der in den Verbänden aktiv ist und da auch sehr viel Energie darauf aufwendet, dass die Sachen besser werden. Aber es ist eine sehr, sehr zähe und lange Arbeit, die wir da vor uns haben.

IGM: Herr Stock, wie ist Deutschland Ihrer Meinung nach im internationalen Wettbewerb aufgestellt, insbesondere bezogen auf politische und wirtschaftliche Fördermaßnahmen?

Ralph Stock: Aus der Perspektive des Entwicklers muss ich ganz klar sagen, dass da andere Länder ganz andere Töpfe aufmachen. Wenn man sich Kanada anguckt – das ist ja so das klassische Beispiel –, sind wir fördermäßig wirklich wesentlich weniger üppig ausgestattet. Hinzu kommt: Wenn man sich anguckt, was im Filmbereich und auch in den Bildenden Künsten und im Theaterbereich an Fördermitteln zur Verfügung steht, man sich dann mal ansieht, was im Spielebereich eingesetzt wird und man abschließend all das der Bedeutung der unterschiedlichen Kulturträger für die Bevölkerung gegenüberstellt, wird ein eklatantes Missverhältnis deutlich. Will sagen: Wenn ich berücksichtige, dass um ein Vielfaches höhere Gelder für den Filmbereich bereitgestellt werden als für die Spiele, aber ich auf der anderen Seite berücksichtige, dass für einen Großteil gerade der jüngeren Bevölkerung das Spielen mittlerweile als Kulturträger eigentlich die zentrale Rolle einnimmt, dann habe ich schon das Gefühl, dass das ganze System nicht wirklich auf die aktuellsten demografischen und kulturellen Entwicklungen eingestellt ist.

Die „Emergency“-Umsetzung für iPad und Android ging sprichwörtlich durch die Decke und verkaufe sich bereits über 400.000 Mal. Ein Riesenerfolg für Serious Games Solutions.

Die „Emergency“-Umsetzung für iPad und Android ging sprichwörtlich durch die Decke und verkaufte sich bereits über 400.000 Mal. Ein Riesenerfolg für Serious Games Solutions.

Dazu gesellt sich ein dritter Aspekt, und der ist ein klein bisschen selbstkritisch für unsere Branche. Denn Förderung beinhaltet immer auch eine Gefahr, dass ich sehr auf die Kriterien des Fördergebers hin entwickle statt auf den Markt. Das ist eine grundsätzliche Gefahr, die bei jeder Subvention, bei jeder Förderung immer besteht. Diese Gefahr gilt es natürlich zu bannen oder so stark wie möglich zu vermindern. So gesehen bin ich auf gewisse Weise froh, dass wir uns bei Promotion Software/16 Tons Entertainment nicht zu sehr auf die Nutzung von Fördermitteln versteift haben. Eben weil es uns die Möglichkeit gibt, dass wir vollkommen frei von genannten Erwägungen agieren können. Überhaupt sind wir ziemlich bodenständig. Und das ist letztlich auch einer der Gründe, warum wir schon so lange existieren. Wir agieren immer sehr vorsichtig und machen eigentlich stets nur das, von dem wir auch wissen, dass wir es können und nachher vor allem auch refinanzieren können. Trotzdem möchte ich hinzufügen, dass wir sehr wohl für bestimmte Serious Games kleinere Förderungen erhalten. Wir sitzen ja mit Serious Games Solutions GmbH in Potsdam und da ist beispielsweise das Medienboard Berlin Brandenburg zuständig – die unterstützen uns schon gut. Was die Förderung betrifft, ist letztlich vor allem eine Frage, ob ich über bedingt rückzahlbare Darlehen fördere oder ob ich über Steuervergünstigungen aktiv werde. Das sind verschiedene Förderinstrumente, die natürlich alle dazu dienen sollen, die Kapitalausstattung der Entwicklungsunternehmen zu steigern. Andere Länder wie Frankreich, England und Kanada sind hier wesentlich aktiver. In Deutschland dagegen wird das Thema mit spitzen Fingern angefasst – diesen Eindruck habe ich von der Politik. Man muss allerdings auf der anderen Seite sagen: Es tut sich was. Was ich persönlich festgestellt habe ist, dass es jetzt – auch in der persönlichen Begegnung – eine neue Generation von Politikern gibt, die eine vollkommen andere und vollkommen unverkrampfte Grundeinstellung zu Computerspielen haben. In allen Parteien übrigens. Das gab es vor zehn, 15 Jahren noch nicht. Da war die Sicht bekanntlich eine ganz andere.

IGM: Was wären konkrete Stellschrauben, um die bisher genannten Probleme in den Griff zu kriegen?

Klose: Gearbeitet werden muss in Richtung kulturellem Bewusstsein. Die meisten Institutionen verkennen völlig, dass der durchschnittliche Gamer inzwischen kein kleiner Teenager mehr ist, sondern dass sich Computerspiele in der Mitte der Gesellschaft bewegen. Und normalerweise werden Themen, die sich in der Mitte der Gesellschaft bewegen sehr gut aufgegriffen. Bei Computerspielen ist das nicht der Fall! Das hat schon fast etwas Reaktionäres. Die kulturelle Akzeptanz, die kulturelle Auseinandersetzung fehlt mir absolut. Die Leute, die noch nie Spiele gespielt haben, scheinen oft nicht in der Lage zu sein, zu erfassen, was es bedeutet, sich mal in so einer virtuellen Welt zu versenken. Leute, die dagegen gespielt haben, nehmen das ganz natürlich mit. Wenn diese Leute jetzt allerdings anfangen in die Politik einzutreten, dann merken wir schon wie sich einige Sachen ändern. Der zweite große Punkt für mich ist die Finanzierung. Da ist es glaube ich schwer, einfach so etwas aus dem Boden zu stampfen. Denn hier geht es um ein Mind-Set, und das ist nicht unbedingt nur auf politischer Seite, sondern generell auf wirtschaftlicher Seite zu sehen. Für Deutsche sind Games oft Spiele und Spielereien und kein Markt. Solange Spiele also nicht als Markt begriffen werden – als riskanter aber sehr lukrativer Markt – werden wir auch ein Problem haben, überhaupt an Investitionen zu kommen. Und wenn wir da nicht ein paar aufgeweckte Köpfe in der Wirtschaft finden, die sich auf die Seite der Games schlagen, die das Potenzial erkennen, dann werden in anderen Ländern die entsprechenden Märkte weiterhin den Vortritt haben und weiterhin die Finanzierung vorantreiben.

„Menschen auf der Flucht“ wurde von Ralph Stock und seinem Team für Missio entwickelt, thematisiert den Bürgerkrieg im Kongo und erhielt 2013 beim Deutschen Computerspielpreis die Trophäe „Bestes Serious Game“. Preisgeld: 50.000 Euro.

„Menschen auf der Flucht“ wurde von Ralph Stock und seinem Team für Missio entwickelt, thematisiert den Bürgerkrieg im Kongo und erhielt 2013 beim Deutschen Computerspielpreis die Trophäe „Bestes Serious Game“. Preisgeld: 50.000 Euro.

Ein ganz einfaches Beispiel an dieser Stelle: „Lords of the Fallen“ ist der erste Titel mit einem ernstzunehmenden Budget in seinem Genre, und dieses Budget wurde uns von keinem deutschen, wie auch immer gearteten Wirtschaftsteilnehmer zur Verfügung gestellt. Nein, dieses Budget kommt vom polnischen Publisher CI Games, der an der polnischen Börse gelistet ist. Ich finde das spricht Bände dafür, wie wir von anderen, auch europäischen Ländern, überholt werden. Für uns natürlich auch insofern positiv, als dass wir sagen: Gut, dann richten wir uns eben europäisch aus und nicht nur Deutschland-fokussiert. Aber das kann nicht im Sinne der deutschen Wirtschaft sein.

IGM: Haben Sie denn schon mal ernsthaft darüber nachgedacht, den Standort komplett zu wechseln?

Klose: Natürlich denken wir darüber nach. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass Entwickler, die versuchen für Google Glass zu entwickeln, im Moment gar keine Chance haben, an so ein Gerät ranzukommen, da sie zum Beispiel in der ersten Tranche nicht beliefert werden, weil sie nicht in den USA ansässig sind. Und zweitens wenn wir sehen, wie im Silicon Valley neue Projekte aus dem Boden gestampft werden können, wären wir dumm, wenn wir nicht drüber nachdenken würden, zu einem Standort zu wechseln, der uns neue Vorteile bietet. Verstehen sie mich nicht falsch: Wir sind sehr, sehr, sehr glücklich, in Deutschland unser Unternehmen zu haben. Wir haben sehr viele Mitarbeiter, die wir auch nur haben, weil wir in Deutschland sind, weil wir in Deutschland sitzen. Unsere Infrastruktur gefällt uns hervorragend – das sind alles Punkte, die auf der Plus-Seite zu verbuchen sind. Aber wenn wir sehen, wie groß die Chancen in anderen Ländern sind, dann müssen wir uns die Frage stellen, ob wir uns am richtigen Standort befinden.

Das komplette Interview ist in IGM 11/14 erschienen.