Sexismus in Spielen und in der Gamesbranche: Eine Bestandsaufnahme

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Seit der Kontroverse um GamerGate ist das Thema Sexismus in Spielen und der Spielebranche stärker in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Und fast wöchentlich kommen neue Aufreger dazu. Überzogener Hype oder echtes Problem?

Von Manuel Fritsch und Benedikt Plass-Fleßenkämper

Am 17. März 2016, Game Developers Conference in San Francisco: Einige Besucher auf einer von Microsoft organisierten Xbox-Party fühlen sich in die frühen 90er-Jahre der Spielebranche zurückversetzt, als „Booth Babes“ – aufreizend gekleidetes Standpersonal für die überwiegend männlichen Messebesucher – noch allgegenwärtig waren. Auf Podesten tanzen sogenannte „Gogo-Girls“ leicht bekleidet in BH und knappen Schuluniform-Röcken. Auf Facebook und Twitter häufen sich die erstaunten Reaktionen der Besucher: Viele beschweren sich, dass wohl niemandem im Planungskomitee aufgefallen sei, wie unpassend halbnackte Tänzerinnen auf einer Branchenparty wirken. Nicht nur viele weibliche Entwicklerinnen fühlen sich in Gegenwart der Tänzerinnen unwohl, auch zahlreiche männliche Besucher halten das gebotene Rahmenprogramm für gänzlich unangebracht. Nur wenige Stunden vorher hatte Microsoft ironischerweise noch zu einem inkludierenden „Frauen in der Branche“-Frühstück eingeladen.

Eine Branchenparty ist kein Junggesellenabschied

Jennifer Scheurle ist Game Designerin bei Flat Earth Games (TownCraft, Metrocide), lebt und arbeitet in Sydney und war eine der lautstärksten Kritikerinnen der Microsoft-Veranstaltung. Auf Twitter schrieb sie: „So werden Frauen also aus der Gamingindustrie ausgeschlossen: Indem man einfach so tut, als würden wir nicht existieren, und auf Entwicklerpartys Stripperinnen engagiert werden“.

Auf dem Kurznachrichtendienst, der bekanntlich nur 140 Zeichen pro Post erlaubt, geriet die anschließende Diskussion schnell aus den Fugen. Scheurle berichtigte zwar umgehend ihre Fehlbehauptung, es habe sich bei den Tänzerinnen um Stripperinnen gehandelt. Aber die Diskussion war zu diesem Zeitpunkt schon entgleist – und Scheurle wurde in eine Diskussion verwickelt, die am eigentlichen Problem vorbeischoss.

In einem Interview mit unserem Schwester-Portal gamesbusiness.de erklärt Scheurle ausführlicher, was sie an der Party als störend empfand: „Nach dem Fallout meines Tweets wurde ich oft beschuldigt, ein Problem mit erotischen Tänzerinnen zu haben. Viele Kommentare dieser Art gehen leider am Thema vorbei, weil das Problem selbstverständlich nicht die Tänzerinnen sind, sondern der Kontext“, sagt Scheurle. „Man muss hierzu verstehen, dass Entwicklerpartys im Kontext einer GDC immer Networking-Events sind. Viele Geschäfte und Kontakte werden auf diesen Veranstaltungen geknüpft, weil das der einzige Moment ist, wenn wir nicht beschäftigt sind mit Organisation des Events, des nächsten Talks, des nächsten Meetings oder Interviews. Meine besten Kontakte habe ich oft von Developer Afterpartys bekommen, weshalb diese wichtig für uns sind. Sprich: Developer Partys sind professionelle Events, deren Kontext das widerspiegeln muss.“

JenniferScheurle

Jennifer Scheurle ist Game Designerin bei Flat Earth Games, wohnt in Sydney und arbeitet gerade an „Objects in Space“. (Quelle: www.gaohmee.com)

Das auf Twitter oft angeführte und vermeintliche Gegenargument, dass die Aufregung ja mit ein paar leicht bekleideten, männlichen Tänzern hätte aufgefangen werden können, lässt die 27-Jährige nicht gelten. Das Problem läge nicht darin, dass die Tänzerinnen weiblich waren. Die Frage sei, ob ein Event dieser Art als professionell angesehen wird oder nicht. Objektifizierung auch auf das andere Geschlecht auszuweiten, würde dem Problem nicht weiterhelfen. „Ob ich mich von den Tänzerinnen angezogen fühle oder nicht spielt, dabei gar keine Rolle. Das Ziel ist, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle Beteiligten wohlfühlen und ich weiß, dass auch Männer auf dem Xbox-Event unangenehm berührt waren von der Annahme, dass Tänzerinnen als angebrachte Unterhaltung angesehen wurden“, erklärt Scheurle. Sie habe Verständnis dafür, dass es vielen Männern in der Branche schwerfällt, das Problem zu erkennen oder nachvollziehen zu können. Es sei nicht leicht, eine Erfahrung zu sehen, die nicht der eigenen entspricht. Sie bittet darum, die Wichtigkeit zu erkennen, diesen Menschen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben, zuzuhören und den Dialog mit ihnen zu suchen.

Phil Spencer, Chef der Xbox-Sparte bei Microsoft, hat sich für das Event kurz darauf offiziell entschuldigt und eine offene E-Mail an die Belegschaft veröffentlicht. Darin schreibt er: „Wie wir uns als Organisation präsentieren, ist mir persönlich sehr wichtig. Wir wollen eine Xbox-Kultur bilden – intern und extern – in der sich jeder mit Stolz repräsentiert sieht. (…) Das Event war ohne Frage falsch und kann so nicht toleriert werden. Wir klären die Situation intern, aber lasst mich deutlich sein: Wie wir uns individuell repräsentieren, wen wir einstellen, mit wem wir Partnerschaften eingehen und wie wir andere behandeln, spiegelt direkt unsere Marke wider und wofür wir stehen. Verhalten wir uns anders und erschaffen wir eine Umgebung, die eine Gruppe ausschließt oder angreift, verdienen wir die Kritik dafür.“

Doch selbst nach der Einsicht des Veranstalters, einen Fehler gemacht zu haben, sehen weiterhin viele Menschen im Internet die Reaktionen von Feministinnen wie Scheurle als übertrieben an und beleidigen Kritiker auch auf persönliche und verletzende Art.

Der vollständige Artikel ist auf pcgames.de sowie – mit einigen zusätzlichen Elementen – in PC Games 06/2016 erschienen.