Computerspiel „Don’t Starve“: Der Ruf der Wildnis

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Das Indie-Game „Don’t Starve“ kämpft gegen die Monotonie des Mainstreams – und der Spieler ums nackte Überleben. Das Spiel ist so spannend wie charmant und beweist einmal mehr, dass unabhängige Entwickler auch ohne Millionenbudgets großartige Spiele erschaffen können.


Von Benedikt Plass-Fleßenkämper 

Wenn Klei Entertainment ein neues Spiel veröffentlicht, darf man zu Recht gespannt sein. Der Independent-Entwickler hat mit ungewöhnlichen Werken wie dem Puzzlespiel „Eets“, dem Retro-Prügler „Shank“ und dem 2-D-Schleich-Abenteuer „Mark of the Ninja“ Kritiker wie Spieler begeistert. Nun ist das neue Klei-Spiel erschienen – und unterstreicht erneut Kreativität und Schaffenslust des kanadischen Studios.

Eine tiefgründige Handlung sucht man in „Don’t Starve“ vergeblich. Der verrückte Maxwell hat Wissenschaftler Wilson schutzlos in der Wildnis ausgesetzt – der Spieler wird zum digitalen Alex Supertramp, zum Aussteiger wider Willen. Der Spieletitel ist Programm: „Don’t Starve“ – Nicht verhungern. Denn sollte man den Hungertod sterben, ist das Spiel vorbei – und jeglicher Fortschritt weg, den man sich zuvor erarbeitet hat. Der Permadeath, der endgültige Bildschirmtod, ist hier der ständige Begleiter des Spielers und schwebt wie eine dunkle Wolke über allem.

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Das kann man im Klick-Rausch aber schnell mal vergessen; die Baukasten-Mechanik der Survival-Simulation ist ähnlich eingängig wie beim Indie-Kollegen „Minecraft“. Man erkundet die isometrische, zufällig generierte Welt, sammelt alle Rohstoffe und Objekte ein, die man findet, und löst so eine schier unendliche Produktionsspirale aus. Man lernt, dass man aus Zweigen und Steinen eine Axt und eine Spitzhacke bauen kann, die sich prima zum Abholzen von Bäumen und Plündern von Minen eignen. Da man nun Holz und Feuersteine hat, errichtet man in der Abenddämmerung ein Lagerfeuer. Nachts – wieder lässt „Minecraft“ grüßen – drohen schließlich allerlei Gefahren und wilde Tiere.

Kämpfen nur im Notfall

Mit der Zeit stehen immer mehr Bauobjekte zur Verfügung. Tierfallen etwa, mit denen man Hasen einfängt, die am Lagerfeuer einen saftigen Braten hergeben. Oder ein Zelt, in dem es sich deutlich bequemer schläft als auf dem Boden. Neue Kleider, Hüte und Rüstungen, schützende Steinmauern und sogar Kühlschränke sind möglich. Waffen wie Speer oder Bumerang befinden sich zwar ebenfalls im Baumenü, kämpfen sollte man in „Don’t Starve“ aber nur im Notfall. Zu groß ist die Gefahr, von einer Büffelhorde überrannt zu werden. Und dann heißt es wieder mal „Game Over“. Diesmal immerhin erst an Tag 47. Also noch eine Runde.

Das Erkunden, Sammeln und Bauen ist der spielerische Aspekt von „Don’t Starve“. Viel faszinierender ist aber die emotionale Ebene: Das Spiel erzeugt ein intensives Gefühl der Isolation; man fühlt sich allein, abgeschnitten von jeglicher Zivilisation. Schön auch, dass man aktiv mitdenken, jeden Schritt vorausschauend planen muss. Es gibt kein Tutorial, keine Übungsmission – nur den Spieler und seine Bereitschaft, alles zu tun, um in der Wildnis zu überleben. Und so schielt man ständig panisch auf die rechte obere Bildschirmecke, wo einem drei Symbole anzeigen, wie es um Hunger, Lebenspunkte und geistigen Zustand der eigenen Figur bestellt ist.

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Abenteuer zwischen Alptraum und Survival-Trip

Seine spannendsten Momente hat „Don’t Starve“, wenn man kurz vor dem Verhungern ist, verzweifelt nach Nahrung suchend durch alptraumhafte Gebiete der Spielwelt stolpert, in denen einen Tentakel wie aus dem Nichts attackieren. Dann sinkt die geistige Gesundheit, und die eigene Wahrnehmung verändert sich. Zuvor harmlose Häschen sind plötzlich bedrohliche schwarze Kreaturen, man wird von unheimlichen Schatten verfolgt, das Bild wabert verstörend. Das erzeugt eine geniale Atmosphäre, die die ohnehin schon leicht gruselige Grundstimmung noch verstärkt. Letztere entsteht durch die ungewöhnliche Optik, die mit ihrem düsteren Comic-Charakter an Werke von Tim Burton („A Nightmare Before Christmas“) erinnert. Die Spielwelt selbst ist nicht minder skurril: Da gibt es Wurmlöcher, die einen an einen anderen Ort der Karte teleportieren. Grunzende Schweine, die ein Klohäuschen aus Holz haben. Oder einen Grabstein, auf dem „Wilson“ steht.

„Don’t Starve“ ist ein archaischer Survival-Trip, der an die menschlichen Urinstinkte appelliert, der den uns angeborenen Selbsterhaltungstrieb aktiviert. Und das auf eine herrlich schöpferische Weise: Die Angst vor dem Tod wird zum kreativen Katalysator; nur wer erfinderisch ist, hat in der rauen Wildnis eine reelle Überlebenschance. Hier feiert man jeden neuen Tag wie ein Fest. Ein Spiel, von dem man viel lernen kann.

„Don’t Starve“ von Klei Entertainment, Download für PC und Macintosh, circa 13 Euro auf Steam, gog.com oder der offiziellen Webseite.

Erschienen am 18. Mai 2013 bei Spiegel Online.