FIFA 16: Blick hinter die Kulissen des erfolgreichsten Sport-Videospiels der Welt

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Nicht nur der Profifußball ist ein Millionenspiel: Jedes Jahr räumt die „FIFA“-Videospielserie in der Verkaufstabelle ab. In der neuen Saison von „Fifa 16“ laufen erstmals Frauenmannschaften auf.

Der stern konnte das Spiel bereits testen und hinter die Kulissen der Entwickler in Vancouver blicken.

Von Heinrich Lenhardt, Vancouver und Benedikt Plass-Fleßenkämper

Nick Channon ist weder Nationaltrainer noch Funktionär, doch seine Entscheidungen wirken sich auf den Weltfußball aus. Er kann mehr Tore verursachen oder das Tempo aus dem Spiel nehmen, Stürmer stärken und Abwehrspieler aufwerten. Bei der jährlichen Reform des Spielbetriebs hilft ihm ein Kader mit Hunderten von Profis. Die arbeiten nicht etwa in einer traditionellen Fußball-Hochburg, sondern an der kanadischen Westküste. Denn Nick Channon ist Senior Producer der erfolgreichsten Fußballsimulation, bei der digitale Ebenbilder der Weltstars auflaufen und ein Millionenpublikum in virtuelle Stadien entführt.

Jährlicher Zweikampf der Fußball-Großmächte

Die anhaltenden Funktionärsskandale beim Namenspaten in Zürich können dem Image der  „Fifa“-Videospielreihe wenig anhaben. Seit 22 Jahren produziert Electronic Arts unter diesem Namen seine Fußballsimulation. Was die spielerische Qualität angeht, ist es häufig ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Konamis „Pro Evolution Soccer“. Welcher der Titel seine Spieler mit besserer Künstlicher Intelligenz oder glaubhafterer Ballphysik segnet, ist alljährlich ein Diskussionsthema in Fan-Foren. „FIFA“ verkauft sich besser, weil die Serie seit ihren Anfangsjahren mit mehr offiziellen Lizenzen gesegnet war, um realistische Namen und Visagen der Balltreter einzubauen. Electronic Arts verweigert die Auskunft zu genauen Verkaufszahlen; eine Hochrechnung der unabhängigen Website VGChartz.com schätzt, dass die Vorjahresversion „FIFA 15“ weltweit über 17 Millionen Mal abgesetzt wurde. In vielen Ländern war es das meistverkaufte Videospiel des Jahres. Da kommen auch nach Profifußball-Maßstäben ganz erkleckliche Summen beisammen.

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So arbeiten die sportlichen Spieleschöpfer

Bei der Produktion einer Fußballsimulation sind nicht so sehr Trikots vom Leib reißende Egozentriker gefragt, sondern mannschaftsdienliche Spezialisten. Der Kader des „FIFA“-Videospielteams umfasst Hunderte von Mitarbeitern, von den Zahlenakrobaten für die Spielerwertungen bis zum Aufnahmeleiter im Motion-Capture-Studio. Das Entwicklungsstudio liegt am Stadtrand von Vancouver, im milden Südwest-Zipfel von Kanada, der im Winter weitgehend schneefrei bleibt. Vor dem Firmengebäude befindet sich ein Fußballplatz, es gibt ein Fitnessstudio und eine eigene Turnhalle – der Markenname „EA Sports“ verpflichtet. Die Großraumbüro-Sachlichkeit der Arbeitsplätze wird von den allgegenwärtigen Vereinsschals und Trikots aufgelockert, an Wänden hängen signierte Exemplare von Mats Hummels oder Lukas Podolski.

All diese Spielmacher sollen nicht das Rad, aber jedes Jahr den Ball neu erfinden. Fußball an sich ist ja relativ innovationsresistent, schon die Einführung des Freistoßsprays sorgte für Aufregung. Solche Feinheiten greift die neueste Version „Fifa 16“ selbstverständlich auf: Energisch animiert greift der Schiri zur Spraydose, die Linie verblasst dann im Laufe einiger Minuten. Bringt spielerisch nichts, trägt aber zur Atmosphäre bei. Und „Authentizität“ ist ein häufig strapaziertes Wort im EA-Sports-Hauptquartier, Vorbild für die Präsentation sind TV-Übertragungen im Fernsehen. Das geht soweit, dass „FIFA 16“ die Gestaltung aller Spielanzeigen dem offiziellen Stil von Bundesliga-Übertragungen anpasste und das Geschehen von Wolff-Christoph Fuss und Frank Buschmann kommentieren lässt.

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Neue deutsche Kommentare: Erstmals nimmt Wolff-Christoph Fuss (rechts) Platz in der „FIFA“-Sprecherkabine. Dabei wird er schlagfertig von Serienveteran Frank Buschmann unterstützt.

Angreifer an die Leine nehmen

In spielerischer Hinsicht steht bei „FIFA 16“ kein bestimmter Mannschaftsteil im Mittelpunkt, die Steuerung funktioniert nicht großartig anders als im letzten Jahr. „Statt eine Menge aller möglichen Dinge hinzuzufügen, haben wir uns gesagt: Wir haben hier ein ziemlich gutes Spiel, aber wie bringen wir es zum nächsten Level, wie fassen wir alles an?“, erklärt Nick Channon. Das bedeutete vorrangig, auf die Kundschaft zu hören und Schwächen auszubügeln. Da kann Channon streng klingen wie der Trainer in der Halbzeitpause, wenn es nicht richtig läuft: „Letztes Jahr war das Spiel ziemlich unausgewogen, das Angriffsspiel war übermächtig.“ Das Mittelfeld ließ sich schnell überbrücken, die Abwehr arg leicht von den Stürmerstars abhängen. Bei „FIFA 16“ wurde das Spiel deshalb etwas beruhigt, es geht nicht mehr so leicht steil in die Spitze. Erreicht haben das die Programmierer durch Sondertraining für die Künstliche Intelligenz: Die Spielfiguren können den freien Raum besser interpretieren und Pässe abfangen, auch das Umschalten bei Ballverlust ist jetzt etwas flotter.

Ganz ohne neue Steuerungskleinigkeit mit Marketing-tauglichem Namen kommt auch „FIFA 16“ nicht aus: Die linke Bumper-Taste des Controllers führt nun zum „No Touch Dribbling“ – ein situationsabhängiges Manöver, bei dem die vom Spieler gesteuerte Figur kurzzeitig ohne Ball agiert, um so den Widersacher zu foppen. Vorbild für diese Technik ist Coverstar Lionel Messi, doch ein solcher ist bei den Probe-Matches des stern mit „FIFA 16“ nicht vom Himmel gefallen. Das neue Körpertäuschungsmanöver erfordert Übung, leichtfertiger Einsatz führt zu Ballverlust.

FIFA 16 Intros 2:1 RMA : BAR, 2. HZ

Der vollständige Artikel mit zusätzlichen Klickstrecken ist am 24. September 2015 bei stern.de erschienen.