„Life is Strange – Episode 1: Chrysalis“: Das Leben ist eine Baustelle

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Die erste der fünf Episoden von „Life is Strange“ überzeugt mit einem gleichermaßen interessanten wie liebenswerten Hauptcharakter und lädt mit dem schönen Folk-Soundtrack und der melancholischen Grundstimmung zum Schwelgen ein.

Von Jan-Christoph Keßler und Benedikt Plass-Fleßenkämper

Bei „Life is Strange“ für PC, PS3, PS4, Xbox 360 und Xbox One ist der Name Programm: Entwickler Dontnod erzählt in dem Adventure die packende Story der Teenagerin Max, ihre Zeichens bekennender Fotografie-Nerd und hoffnungslose Außenseiterin. Im Gegensatz zu Remember Me, dem letzten Werk der französischen Macher, steht jedoch nicht derbe Action, sondern eine intime Geschichte ums Erwachsenwerden im Mittelpunkt, in der die Protagonistin lernen muss, zu den eigenen Entscheidungen zu stehen. Life is Strange erscheint ähnlich wie die Titel von Telltale Games („The Walking Dead„, „Game of Thrones„) in leicht verdaulichen Episoden-Häppchen, die jeweils rund fünf Euro kosten. Und auch inhaltlich erinnert das Spiel an die interaktiven Telltale-Games. Mit „Episode 1: Chrysalis“ macht Life is Strange nun den Auftakt und beweist, dass Videospiele ein starkes erzählerisches Medium sein können.

Sympathische Einzelgängerin

Max steht unsicher im Gang der Schule, versucht die Welt mit der Musik aus den Kopfhörern auszusperren. Nach fünf Jahren in Seattle kehrt sie in ihre alte Heimat Oregon zurück, um an der renommierten Blackwell Academy zu studieren. Der Grund liegt bei ihren Interessen auf der Hand: Fotografie-Professor Jefferson ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. „Wenn ich nicht durch den Sucher eine Kamera schaue, dann starre ich durch Fenster“, sagt das Mädchen. Max schaut dem Leben von außen zu, wie es um sie herum passiert. Zumindest bis sie eine lebensbedrohliche Situation gerät, in der sie entdeckt, dass sie die Zeit zurückdrehen kann.

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Alles auf Anfang

Das funktioniert folgendermaßen: Ziehen Sie am Gamepad die Schultertaste, spulen Sie auf Wunsch die Geschehnisse zurück und verhindern so Missgeschicke oder verändern den Ausgang von Dialogen und Ereignissen. Außerdem lösen Sie auf diese Weise kleinere Puzzle-Aufgaben. Die Rätsel wirken in dieser ersten Episode allerdings inhaltlich wie spielerisch eher banal. Beispiel: Wie verscheuchen Sie die garstige Victoria, die Max nicht vorbei lässt? Die Lösung: Sie manipulieren einfach zwei Gegenstände in Ihrer Umgebung – das war’s. Doch stehen bei Life is Strange die Rätsel auch nicht im Vordergrund, sondern die Charaktere.

Unter uns

Das Tableau der Figuren erfüllt die Grundvoraussetzungen für eine spannende Seifenoper: Es gibt die bösen Mädels, die eigentlich nur unsicher sind, die tumben Football-Spieler, die freundlichen, aber unbeholfenen Nerds, den fiesen Schulwächter und natürlich den Wildfang Chloe. Die war vor dem Umzug nach Seattle Max‘ beste Freundin und nimmt in der Geschichte eine zentrale Rolle ein. Sie fordert die Protagonistin und zwingt sie, aus ihrem Kokon auszubrechen. Das macht Chloe mit ihrer rebellischen Punk-Attitüde und dem Verlangen nach Nervenkitzel – sie ist der perfekte Gegenpart zu Max.

Letztlich birgt dieser Nervenkitzel aber nicht nur offensichtliche Gefahren: Max lernt schnell, dass ihr Manipulieren der Zeit nicht ohne Folgen bleibt. Kataklysmische Ereignisse liegen in Ihrer Zukunft, wenn sie nicht aufpasst. Der Film „Butterfly Effect“ von 2004 mit Ashton Kutcher lässt grüßen!

Was uns gefällt

Das Zeitreise-Element lädt dazu ein, mit Entscheidungen zu experimentieren – das motiviert. Die Stimmung auf dem Campus fängt das High-School-Leben mit gängigen Klischees ein, bietet dabei aber an vielen Stellen mehr Tiefe, als der erste Blick Sie glauben macht. Die Atmosphäre wird durch den ansprechenden Grafikstil und den stimmungsvollen Einsatz von Musik gezeichnet und fängt Sie innerhalb von Momenten ein. Gerade der Soundtrack mit seinen akustischen Singer-/Songwriter- und Indiepop-Stücken ist fantastisch gelungen, und auch die englische Synchronisation kann sich wirklich hören lassen. Dazu hat Life is Strange einen sehr guten Sinn für Tempo: Es hält häufig inne, damit der Spieler Max kennenlernen kann, drückt aber im rechten Augenblick auch wieder auf die Tube.

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Was uns nicht gefällt

Einige Dialoge wirken bei Text wie Aussprache hölzern und überfrachtet. Man wünscht sich fast, auch noch vorspulen zu können. Zudem läuft die Sprachausgabe nicht immer lippensynchron ab. Ein anderer Negativpunkt ist der Symbolismus: Die Entwickler zimmern Ihnen die Botschaften des Spiels fast schon über den Hinterkopf: Etwa, wenn Max einen Schmetterling ablichten will, bevor sie ihre Zeit-Manipulationsfähigkeiten erhält, oder wenn ihr Fotografie-Lehrer nach Erhalt selbiger sagt, dass sie eine Gabe besäße. Auch das „Twin Peaks“-Nummernschild an Chloes Auto entgeht einem nur schwer – solche Anspielungen wirken ein wenig zu gewollt.

Fazit

Die erste der fünf Episoden von Life is Strange überzeugt mit einem gleichermaßen interessanten wie liebenswerten Hauptcharakter und lädt mit dem schönen Folk-Soundtrack und der melancholischen Grundstimmung zum Schwelgen ein. Auch wenn die Heldin mit der Zeit rumspielt, drehen sich die Uhren in Oregon so oder so einfach ein wenig langsamer – und dieses entschleunigte Spieltempo macht Spaß. Hier gibt es keine Zombies, keine Baller-Schlachten, nur die Erlebnisse von Max im so bedeutenden Teenager-Alter verbunden mit dem Gedankenspiel „Was, wenn ich es diesmal richtig machen könnte?“. Eine spielenswerte Coming-of-Age-Geschichte, die Lust auf die noch folgenden Episoden macht.

Infos zum Spiel:

Titel: Life is Strange – Episode 1: Chrysalis
Genre: Adventure
Hersteller: Dontnod Entertainment
Publisher: Square Enix
Release-Termin: DLC-Version im Handel
Preis: zirka 5 Euro (pro Episode) / zirka 20 Euro (Season Pass)
System: PC, PS3, PS4, Xbox 360, Xbox One
USK-Freigabe: Ab 12 Jahren
Wertung: Gut

Erschienen am 03. Februar 2015 bei T-Online.