„Splatoon“: Der Tinten-Krieg der Inkling-Polypen
Es geht auch ohne Blut und Gewalt: Nintendo zettelt die friedliche Shooter-Revolution an.
Von Sönke Siemens/bpf
Mario, Yoshi, Donkey Kong, Toad, Bowser, Wario, Link, Zelda, Samus – die Riege bekannter Nintendo-Helden ließe sich an dieser Stelle noch eine ganze Weile fortsetzen. Mut zum Erschaffen neuer Charaktere und Marken haben die Japaner in den letzten Jahren jedoch nur wenig bewiesen. Umso erfreulicher ist die Ankündigung von „Splatoon“ auf der diesjährigen E3-Spielemesse. Statt einmal mehr die alten Hasen in neuem Outfit an die Spielspaß-Front zu schicken, stellt Nintendo hier nämlich ganz neue Stars ins Wii U-Rampenlicht: die sogenannten Inklings. Halb Mensch, halb Tintenfisch, stürzen sich diese cool gekleideten Wesen am liebsten mit Farbkanonen in rasante Mehrspieler-Schlachten für bis zu acht Teilnehmer. Wie sich ein solcher Calamares-Krieg anfühlt, konnten wir in einer Vorab-Version hautnah miterleben
Kunterbunte Sauerei
Splatoon präsentiert sich zwar als Third-Person-Shooter, Nintendo-typisch geht’s jedoch sehr familienfreundlich und unblutig zur Sache. Der Kern des Spielkonzepts: Zwei Teams aus je vier Inklings buhlen in einer Arena unter Zeitdruck um die territoriale Vorherrschaft. Im Gegensatz zu Mehrspieler-Schwergewichten wie Call of Duty und Konsorten ist dabei allerdings nicht die Menge an Feindabschüssen oder erbeuteten Flaggen das Zünglein an der Waage, sondern der prozentuale Anteil der Level-Fläche, die von jedem der beiden Teams mit farbiger Tinte am Ende einer Runde markiert wurde.
Die Tinte ist mächtiger als das Schwert
Apropos Tinte: Neben ihrer Funktion als (Markier-)Munition erfüllt sie noch andere wichtige Zwecke. Ein Tipper auf die ZL-Taste genügt, schon verwandelt sich der Inkling in einen Oktopus. Dieser darf sogleich in der Tinte des eigenen Teams abtauchen. Nun ist es ein Leichtes, blitzschnell in bereits von Teamkollegen eingefärbte Levelbereiche vorzudringen. Dass Gegner einen während der Abtauchphase nicht lokalisieren können und man außerdem mühelos unter bis dato unpassierbaren Gitterstäben hindurch tauchen kann, eröffnet weitere taktische Möglichkeiten.
Ebenfalls praktisch: Sprüht man Tinte an Wände, kann man diese fortan empor schwimmen – zum Beispiel, um sich dort zu verstecken während der Feind ahnungslos vorbeirennt. Kanone leer? Einfach in einem Tintenklecks auf Tauchstation gehen und zusehen, wie sich der Tintentank langsam auffüllt.
In der Farbpfütze gefangen
In der Regel schaut der Gegner natürlich nicht tatenlos zu, wie die Konkurrenz munter das gesamte Level einfärbt und versucht, seinerseits eroberte Bereiche zurückzugewinnen. Um das zu bewerkstelligen, genügt es, die eigene Tinte auf bereits markierte Flächen zu spritzen, schon ändern sich Farbe und Zugehörigkeit. Wer großflächiger denkt, greift zu Farbgranaten oder später sogar zum XXL-Farbroller, den man wie eine Schneeschaufel am Boden vor sich her schiebt. Außerdem hält die derzeitige Waffenkammer Bazooka und Scharfschützengewehr bereit.
Solche Extrawaffen müssen durch Gebietsgewinne freigeschaltet werden und eignen sich natürlich auch hervorragend dazu, lästigen Widersachern eine zukünftige Farbdusche zu verpassen. Hat die gesessen, katapultiert es den Gelackmeierten zurück an den Level-Anfang. Wichtig: Engpässe, Rampen und andere strategisch wichtige Bereich einer Arena sollte man wann immer möglich umfärben, um den Feind beim Vorrücken auszubremsen. Denn rennt der in eine Pfütze anderer Farbe, verhält sich diese wie zähflüssiger Sirup. Die Folge: Er kommt nur noch ganz langsam voran, und das eigene Team gewinnt wertvolle Sekunden.
Mittels Fingerzeig ins Schlachtgetümmel
Sehr gut gefallen hat uns abseits vom erfrischend andersartigen Spielablauf die Art und Weise, wie die Entwickler das Wii U-Gamepad nutzen. Zum einen dienen die Lagesensoren in der Standardkonfiguration zum Umschauen und Zielen, sprich zum Feinjustieren des Fadenkreuzes. Das erfordert zunächst ein bisschen Einarbeitung, klappt dann aber erstaunlich präzise. Wer gar nicht klarkommt, nutzt alternativ den rechten Analogstick. Zum anderen nutzen die Japaner das Gamepad als interaktive, stets einsehbare Level-Karte. Sie zeigt in Echtzeit, welches Team welche Bereiche eingefärbt hat.
Hinzu kommt: Segnete ein Teammitglied das Zeitliche, springt sein Polyp nach Antippen eines verbündeten Spielers auf dem Touchpad umgehend zurück an die Front. Das spart wertvolle Zeit und erstickt langweiliges Herumrennen schon im Keim.
Was uns gefällt
Man mag es kaum glauben, aber die Kombination aus actiongeladenem Mehrspieler-Geplänkel und taktisch herausforderndem Einfärben von Flächen löst binnen Minuten einen echten Adrenalin-Kick aus. Insbesondere, wenn man sich aktiv im Team koordiniert und mit einem gewissen „Plan“ vorprescht. Die knuffigen Kalmar-Kämpfer muss man einfach gerne haben, ebenso wie die hervorragenden Farbspritzeffekte. Auch der Netzwerkcode hinterließ einen äußerst robusten Eindruck, muss sich allerdings noch unter Realbedingungen beweisen.
Was uns nicht gefällt
Im Probespiel durfte man sich bisher nur auf einer Karte in einem Spielmodus („Turf War“) austoben. Für den fulminanten Kick-off einer neuen Marke reicht das natürlich nicht aus. Wirft man gleichwohl einen Blick auf die Ludografie der bei Nintendo zuständigen Entwicklungsabteilung („Wii Sports“, „Nintendo Land“, „Animal Crossing: New Leaf“), machen wir uns diesbezüglich kaum Gedanken. Wünschenswert wären außerdem eine stabile Sprachchat-Funktion sowie ein Trainingsmodus für Einzelspieler. Weitere freispielbare Waffen und ein Helden-Auflevel-System würden der Langzeitmotivation ebenfalls entgegenkommen. Wir sind gespannt, was Nintendo hier noch alles aus dem Hut zaubert.
Fazit
Allein die langen Besucherschlangen an Nintendos Messeständen auf der E3 und der Gamescom sprechen Bände und belegen die Anziehungskraft dieses Geheimtipps. „Big-N“ traut sich endlich mal was – und das, spürt man, kommt an. Splatoon schert sich einen feuchten Kehricht um bewährte Genre-Konventionen und stürmt mit viel Farbe, frechen Figuren, innovativen Ideen, pfeilschneller Bildrate und jeder Menge Charme aufs heiß umkämpfe Parkett der Mehrspieler-Shooter. Bleibt zu hoffen, dass Umfang, Modi-Vielfalt und Online-Performance stimmen und Nintendo womöglich sogar einen öffentlichen Betatest wagt. Kriegt das Team um das Direktoren-Duo Yusuke Amano und Tsubasa Sakaguchi – beides bekennende Shooter-Fans – diesen Balanceakt hin, gibt es einen weiteren Kaufgrund für die Wii U.
Titel: Splatoon
Genre: Mehrspieler-Shooter
Publisher/Hersteller: Nintendo
Release-Termin: 2015
Preis: Noch nicht bekannt
System: Wii U
USK-Freigabe: Noch nicht bekannt
Eindruck: Sehr gut
Erschienen am 18. Oktober 2014 bei T-Online.