„Bayonetta 2“: Hexe mit Streitwert

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„Bayonetta 2“ ist ein Actionspiel mit grandioser Aufmachung und einer starken Spielfigur, die Männerfantasien bedient. Nun wird diskutiert: Sexismus oder Vorbild?

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Das Actionspiel Bayonetta gilt als Klassiker der vergangenen Konsolengeneration. Nun hat Nintendo in Zusammenarbeit mit dem Entwickler Platinum Games den Nachfolger veröffentlicht, exklusiv für die strauchelnde Wii U. Es ist eine riskante Aktion für das Unternehmen, das für seine familientauglichen Spiele bekannt ist: Der erste Teil verkaufte sich, damals noch unter dem Publisher Sega, weltweit nur moderate 1,35 Millionen Mal. Allerdings wurde Bayonetta von Kritikern und Hardcore-Spielern als Meisterwerk gefeiert.

Ähnlich enthusiastisch wurde Bayonetta 2 bereits vor der Veröffentlichung rezensiert. Wie schon im ersten Teil von 2009 dreht sich das Spiel um die titelgebende Hexe, die man aus der Verfolgerperspektive in Schießereien führt und nebenbei rasante Tritt- und Schlagkombinationen ausführen lässt. Der Kern des Spiels ist simpel, die Aufmachung umso avantgardistischer. Schon im Original flochten sich von der Göttlichen Komödie inspirierte Höllen- und Paradieswelten ineinander. In denen musste die Protagonistin gegen dunkle Kräfte, Engel und um die Wiedererlangung ihrer verlorenen Vergangenheit kämpfen.

Bayonetta 2 beginnt mit einem weihnachtlichen Einkaufsbummel, dessen Idylle abrupt von streitsuchenden Kreaturen zerrissen wird. Eine Schlacht entspinnt sich, ein Drachendämon wird beschworen, der die Seele von Jeanne, der Waffenschwester Bayonettas, aus dem Körper und hinab in die Hölle reißt. Es ist ein hauchdünner Schleier von Plot. Aber er begründet, was nun folgt: ein Irrsinnsritt von Kampf zu Kampf, der gewollt Stil, Inszenierung und Geschwindigkeit der Logik überordnet.

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Rauschhafte Erfahrung

Die Spieler kämpfen auf einem fliegenden Düsenjet, auf dem Dach einer Eisenbahn und sie turnen auf taumelnden Gebäuden. Den Machern ist kein Schauplatz zu gewagt; die gut sieben Stunden andauernde Action setzt voll auf Spektakel.

Als Bayonetta töten Spieler mit Pistolenfeuer, Schlägen, Tritten, magischen Haaren und neuerdings auch Schwert und Bogen goldene Roboter, Zentauren mit Menschenmasken, entstellte Engelskrieger und haushohe Giganten. Zudem verlangsamt die Hexe die Zeit, beschwört Folterapparate und dreht Gegner durch Nagelwalzen. Die Brutalität wird dabei stets von bunten Effekten begleitet, wie sie wohl nur japanische Games bieten. Blütenblätter, Schmetterlinge und rote Kussmünder blinken auf. Zeitweise fällt es schwer zu überblicken, was da alles auf dem Bildschirm vor sich geht.

Bayonetta 2 bietet eine rauschhafte Erfahrung, die das Original in Sachen Spielfluss, Kontrollierbarkeit und Vielfalt sogar leicht übertrumpft und damit gleichsam zum grafisch schönsten Spiel für Wii U macht.

„Bayonetta“ erscheint in Zeiten des GamerGate

Egal, wie hektisch die Situation wird, wie sehr das Geschehen der greifbaren Realität entflieht: Die Heldin bleibt stets sexy. Schließlich trägt die schwarzhaarige Schönheit mit den langen Beinen und der modischen Brille einen hautengen Dress, der bei genauerem Hinsehen aus ihren magischen Haaren besteht. Nutzt sie diese als Waffe, steht sie kurzzeitig fast nackt da. Sie setzt sich in Pose, verteilt Handküsse und gibt sich gezielt aufreizend. Gerne schwenkt die Kamera auf ihren Po oder unter ihren Beinen hindurch.

Entsprechend kontrovers werden sowohl die Figur Bayonetta als auch das Spiel diskutiert. Der Titel erscheint nämlich mitten in einer Diskussion um die Darstellung von Frauen in Games. Seit August streiten unter dem Stichwort GamerGate verschiedene Lager um die Identität von Gamern, um die Befangenheit von Journalisten und Sexismus in der Branche. Von Beginn an wurde die Debatte von teilweise extremen Feindseligkeiten gegenüber weiblichen Spielern und Entwicklern begleitet, die in Drohungen und Belästigungen auch jenseits des Internets umschlugen. Betroffen ist etwa die feministische Medienkritikerin Anita Sarkeesian, die jüngst eine Rede an der Utah State University abgesagt hat, weil jemand mit einem Amoklauf gedroht hatte.

Sarkeesian vertritt in ihrer YouTube-Reihe Tropes vs. Women die Meinung, die Rolle der Frau in Videospielen sei stets sexualisiert, unterwürfig und ohne echten Charakter. Damit liegt sie oft richtig. Es ist eine berechtigte und überfällige Diskussion, die mittlerweile selbst bei renommierten Tageszeitungen wie dem britischen Guardian geführt wird, aber vor allem auf Twitter hohe Wellen schlägt.

Tatsächlich finden sich in vielen Videospielen anachronistische Motive wie das des „Fräulein in Nöten„. Betrachtet man nun allerdings Bayonetta 2 und dessen Hauptfigur, scheint die Sache nicht ganz so eindeutig. „Alles das, was Bayonettas Design, Spielmechaniken und Charakterisierung betrifft, dient gezielt der sexuellen Befriedigung von heterosexuellen männlichen Gamern“, urteilt Sarkeesian via Twitter und in einem Video, das aufgrund fachlicher Fehler mittlerweile gelöscht wurde. Und tatsächlich ist das Aussehen der Hexe mit der engen Kleidung und dem klischeehaften Porno-Look klar übersexualisiert.

Aber ist Bayonetta 2 deshalb uneingeschränkt sexistisch? Nein, schreibt die Bloggerin Valerie T. Die Darstellung sei fast schon wieder eine Parodie auf den Stereotyp des Sexsymbols. Eben genau wie das gesamte Spiel mit seiner Präsentation und seinem Stil über die Stränge schlägt. Die in die High Heels eingearbeiteten Pistolen etwa seien eine Holzhammer-Parabel auf die „Waffen der Frau“. Und dass Bayonetta ihr Haar als Tötungsinstrument gebraucht, könne als Botschaft gedeutet werden: Sie und kein anderer hat die Kontrolle über ihren Körper.

Die Spielfigur ist mehr als ebenbürtig

Noch auffälliger: Trotz ihrer Erscheinung wird Bayonetta im Spiel nie als „hübsches Frauchen“ reflektiert. Vielmehr sehen sie Gegner wie Verbündete als feste Autorität. Sie verhandele stets auf Augenhöhe und werde selbstverständlich als starker Charakter wahrgenommen, schreibt Valerie T. Ihr herausforderndes Auftreten und ihre Kleidung seien ihre Wahl und Entscheidung. Sie will feminin und sexy sein. Bewertet und respektiert werde sie für ihr Können und ihre Taten. Das lasse gar keine Gelegenheit, sie einzig und allein als Sexobjekt zu sehen.

Bayonetta ist also, unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer Optik, ebenso souverän wie ihre männlichen Gegenstücke. Warum sollte sie nicht sowohl aufreizend als auch ein Role Model sein, fragt eine Kommentatorin im Forum des Escapist Magazines. Ebenso wie eine muskelbepackte männliche Spielfigur klug sein könne. Valerie T. glaubt im Übrigen, dass Frauen das Spiel mehr lieben, als es Männer tun.

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Ist Bayonetta also der Gegenentwurf zu allem, was an der Darstellung von Frauen in Videospielen kritisiert wird? So weit sollte man vielleicht nicht gehen. Sicher ist: Beide Bayonetta-Spiele sind gelungen. Nicht wegen ihrer Optik, sondern als spielerisches und gestalterisches Gesamtwerk.

Erschienen am 23. Oktober 2014 bei Zeit Online.