Videospiel „Call of Duty: Ghosts“ im Test: Auf den Hund gekommen

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Hart, schnell, bildgewaltig: Der Ego-Shooter „Call of Duty: Ghosts“ entpuppt sich als „The Expendables“ in Videospielform – und präsentiert den wohl ersten Bad-Ass-Hund der Videospiel-Geschichte.

Von Benjamin Kratsch und Benedikt Plass-Fleßenkämper 

So müssen sich Astronauten fühlen: Wenn sie den blauen Planeten aus 380.000 Kilometern Entfernung beobachten und sehen, wie sich die einzelnen Ströme der Meere an die Landmassen kuscheln und die warmen Sonnenstrahlen der Atmosphäre eine unglaubliche Stille verleihen. Alles ist so friedlich; die Erde scheint zu schlafen. Doch kurz darauf zündet das erste Special-Effects-Feuerwerk: Als südamerikanische Elite-Einheiten die orbitale Waffenplattform Odin entern und deren Raketen auf die USA richten, bricht ein Inferno aus, wie es Roland Emmerich („The Day After Tomorrow“) nicht bildgewaltiger hinbekommen könnte. Brücken brechen ein, die edle Villensiedlung Hollywood Hills in Los Angeles wird von einem tiefen Krater verschluckt. Alles explodiert, das Bild wackelt, die Menschen fliehen. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf – und der Spieler ist mittendrin in „Call of Duty: Ghosts“.

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Hollywood im Schnelldurchgang

Die achtstündige Einzelspieler-Kampagne des Shooters fühlt sich an, als würden drei, vier Hollywood-Blockbuster an einem vorbeirauschen. Da ist die kurze Stille im Weltraum mit der Astronautin Mosley, die an „Gravity“ erinnert. Dann das Apokalypse-Drama Marke „2012“. Und danach geht’s eigentlich nur noch im „The Expendables“-Modus ab. Zusammen mit den Brüdern Logan und Hash, die den Großangriff auf die USA überleben, steigt der Spieler in eine Action- Achterbahn ein, die immer schneller wird und sich in ihrer Intensität ständig überschlägt.

Schon in der ersten Stunde schickt man mit unterschiedlichsten Sturmgewehren, Raketenwerfern und Scharfschützengewehren locker 500 Gegner ins Jenseits. Ölplattformen explodieren, Las Vegas wird in Schutt und Asche geschossen. Und in Caracas sprengt ein Irrer mal eben den Staudamm am Caroní River und flutet die gesamte Stadt. Die Wucht der Welle reißt Panzer mit, ganze Armeen versinken im Wasser. Als Elitesoldat packt der Spieler das Messer aus, geht auf Tauchgang, zieht seine Opfer ins kühle Nass und schneidet ihnen dort die Kehle durch.

Es ist Krieg

„Ghosts“ ist in seiner Gewaltdarstellung sehr explizit; zarte Gemüter dürften hier schnell an ihre Grenzen kommen. Die Grafikpower der neuen Konsolen-Generation zaubert täuschend echte Menschengesichter auf den Bildschirm und erzeugt dichte Kriegsatmosphäre: Die feindlichen Soldaten reißen die Augen auf, bevor man mit dem Kampfmesser zusticht. Versuchen sich vor dem Kugelhagel zu retten. Schreien um Hilfe und nach Sanitätern.

Entwickler Infinity Ward ist gut darin, die Bedrohung für die Protagonisten steigen zu lassen. Es gibt wenige Momente, in denen man mal durchatmen könnte. Höchstens während einiger Scharfschützen-Missionen oder nächtlicher Schleich-Einsätze. Ansonsten wird der Druck auf den Spieler kontinuierlich erhöht.

Die USA gegen den Rest der Welt

„Ghosts“ zeichnet die U.S. Army als Wrack, die sich kaum gegen einen übermächtigen Gegner wehren kann. Oder wie es Schauspieler Thomas Kretschmann, der den Anführer der Elite-Einheit Ghosts in der deutschen Version spricht, im Gespräch mit stern.de zusammenfasst: „Er hat gar keine Wahl: Die Vereinigten Staaten stehen kurz vor der Vernichtung, deshalb sieht er sich gezwungen, seine beiden Söhne in den Kampf zu schicken. Im Grunde ist das nichts anderes als „Stalingrad“, den ich gerade abgedreht habe. Auch für die Russen gab es damals kein Zurück. Es gab nur Sieg oder Tod.“

Erklärt wird der Aufstieg Südamerikas im Spiel mit einer Ölkrise, die die USA massiv geschwächt hat. Als dann auch noch die orbitalen Raketen die meisten US-Basen vernichten, ist das Land einer Invasion fast schutzlos ausgeliefert. Leider verpasst es „Ghosts“, seiner Geschichte mehr Tiefe zu verleihen: Der Feind bleibt gesichtslos; die südamerikanische Kultur und ihre großen Probleme wie Armut und die daraus resultierende Macht von Drogen-Kartellen spielen hier überhaupt keine Rolle. Der Grund für die Invasion wird kaum erklärt. Ob der Spieler nun auf Russen, Chinesen oder Südamerikaner schießt, macht für ihn in diesem Ego-Shooter keinen Unterschied.

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Blasse Charaktere

„Battlefield 4“ hat demonstriert, wie man Charakteren in einem spielbaren Action-Film einen Hauch Tiefe verleihen kann. Indem man sie Fehler machen und auch mal unsicher wirken lässt. Die „Battlefield“-Protagonisten stehen immer wieder vor unmöglichen Entscheidungen. Die fehlen in „Ghosts“. Der Cast wirkt insgesamt zu hart, zu abgebrüht. Das mag zu knallharten U.S. Navy Seals passen, macht es aber schwer, sich mit den Figuren zu identifizieren. So rettet man beispielsweise in einer Mission den Teamkollegen „Ajax“ vor Folter. Dennoch lässt das den Spieler kalt, weil er die Figur vorher nie wirklich kennengelernt hat. Das ist schade – gerade, weil Hersteller Activision mit Oscar-Preisträger Stephen Gaghan („Traffic“) einen Autor angeheuert hat, der eigentlich für anspruchsvoll strukturierte Thriller bekannt ist. Lediglich Antagonist Rorke ist gut geschrieben: Infinity Ward zeigt auf eindringliche Weise, wie er vom Diktator Venezuelas indoktriniert wird.

Der Hund als emotionaler Katalysator

Die intensivste Bindung geht man fast schon folgerichtig mit einem Hund ein, den man in einer Mission sogar selbst steuern darf. Der Vierbeiner heißt Riley und hat unter @CollarDuty bereits eine eigene Twitter-Fangemeinschaft mit über 29.000 Followern. Riley ist genauso ein „Bad-Ass“ wie seine menschlichen Kollegen. In einer Szene etwa schnellt er an einem Helikopter hoch, beißt dem Piloten in den Arm und bringt den Stahlvogel zum Absturz. Doch erstaunlicherweise hat er mehr emotionale Szenen als die beiden Protagonisten-Brüder: Zum Beispiel, als er den Vater der beiden – sein Herrchen – in einem Trümmermeer sucht und ob der vielen Leichen immer lauter fiepst und winselt. Infinity Ward selbst musste sich bremsen, um dem Hund nicht zu viel Aufmerksam zu widmen: „Es gab Ideen, ihn in einen Taucheranzug zu stecken oder sogar durch die Schwerelosigkeit im Weltall schweben zu lassen“, erinnert sich Produzent Mark Rubin. „Und ich dachte nur: Moment, bis hierhin und nicht weiter. Navy Seals machen verrückte Sachen mit ihren K9-Dogs, lassen sie aus Flugzeugen mit Atemmasken springen. Das ist cool genug.“

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Immer wieder diskutieren die Fans der Shooter-Serie, wie realistisch ihr Lieblingsspiel militärische Aktionen abbildet. Gerade in Bezug auf den Hund stellt sich die Frage, ob das Gezeigte in „Ghosts“ realen Begebenheiten entspricht. stern.de konnte zu diesem Thema auf Youtube einen Soldaten und ehemaliges Mitglied einer amerikanischen Spezialeinheit namens „Clantonaw“ für ein paar Erklärungen gewinnen: „Es klingt nach purer Fiktion. Vieles davon ist allerdings realistisch. Das Pentagon hat für die K9-Dogs spezielles Equipment entwickelt, mit denen wir ihnen Befehle geben können. Vibrationen am linken Ohr heißen: Lauf nach rechts. Vibrationen am rechten Ohr heißen: Lauf nach links. Wir nutzen deutsche Schäferhunde, die sehr robust sind und extreme Bedingungen aushalten.“

Allerdings betont der Ex-Soldat, dass der Action-Ansatz des Spiels im Feldeinsatz nicht funktioniert: „Ich spiele ganz gerne mal zum Entspannen ein ‚Call of Duty‘, wir arbeiten aber ganz anders: Eine direkte Konfrontation mit einem stark überlegenen Gegner wird vermieden, große Feuergefechte sind selten. Und auch die Hunde werden, anders als im Spiel, nicht als Stealth-Killer eingesetzt, sondern zum Aufspüren von Gegnern und Festsetzen bei Flucht. Tatsächlich gibt es allerdings ‚Doggles‘ – spezielle Nachtsichtgeräte mit Infrarot für Hunde und Atemschläuche, um aus Flugzeugen zu springen.“

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Der Mehrspieler-Modus: Clevere Ideen, perfekte Balance

Für die meisten Spieler endet ein „Call of Duty“-Titel nicht nach dem Durchspielen der Story, der Spaß geht online im Multiplayer-Modus erst richtig los. Das ist bei „Ghosts“ nicht anders. Vom Football-Stadion in San Diego über zerbombte Strip-Lokale in Las Vegas bis hin zu überfluteten Bezirken in Caracas ist hier an Spielfeldern alles dabei, was spaßige Baller-Duelle verspricht. Einige Mehrspieler-Maps ändern sich sogar dynamisch: Wer zum Beispiel auf „Strikezone“ eine bestimmte Aufgabe erfüllt, verwandelt mit dem mächtigen „Odin Strike“ die ganze Karte in ein Flammeninferno. So schließt sich der Kreis zum explosiven Einzelspieler-Erlebnis.

Besonders unterhaltsam: die neue Spielvariante „Cranked“, eine Hommage an den irren Hollywoodstreifen „Crank“, in dem Jason Statham die wahnwitzigsten Versuche unternimmt, durch Stress seinen Puls hochzuhalten. Diese Idee haben die Entwickler für „Ghosts“ geschickt adaptiert: Eliminiert man einen Gegenspieler, tickt der Countdown. Ist man nun innerhalb von 30 Sekunden erneut erfolgreich, verursacht macht in den nächsten Minuten mehr Schaden. Versagt man hingegen, heißt es „Game Over“. Aber auch die anderen Online-Modi dürften bei den Millionen Multiplayer-Fans, die schon den Vorgänger von „Call of Duty: Ghosts“ Rekordumsätze bescherten, gut ankommen. Es locken wie gewohnt jede Menge Belohnungen und Gimmicks, die man mittels des Erfahrungspunktesystems freispielen kann. Löblich: Die Balance im Mehrspieler-Modus grenzt an Perfektion, keine Waffe ist zu stark, mit jeder kann man erfolgreich sein.

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„Call of Duty: Ghosts“ ist ein Spiel wie „Stirb Langsam“: Action ohne Atempause, Explosionen im Minutentakt und eine Geschichte, die funktioniert, aber jegliche Tiefe vermissen lässt. Hätte dieser Shooter einen ausgereifteren Plot und facettenreiche Charaktere, er wäre nahezu perfektes Kino zum Mitspielen. So bleibt unterm Strich eine packende Hollywood-Achterbahnfahrt, die einen nach acht Stunden direkt in den motivierenden Mehrspieler-Modus wirft, wo mehr Taktik und ein noch schnellerer Abzugsfinger gefragt sind.

Erschienen am 05. November 2013 bei stern.de.