Der Unterhaltungsdinosaurier: IGM zu Besuch in einer Videothek

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Der deutsche Verleihservice ächzt unter dem Druck aus dem Internet. Sind Videotheken ein Relikt aus alten Tagen, das kurz vor dem Aussterben steht?

IGM ist dieser Frage nachgegangen – und hat einer der ältesten Videotheken Kölns einen Besuch abgestattet.

Von Olaf Bleich/bpf

Samstagabend: Die Familie versammelt sich um den Fernseher, Chips und Häppchen stehen bereit. Der Vater greift in den Schrank und holt eine Videokassette hervor. Die Kinder jubeln. Die Frau grinst und nippt an ihrem Rotwein. „Ich war heute in der Videothek und habe etwas mitgebracht“, verkündet er stolz. Die Kassette wird ausgepackt, eingelegt – und dem gemütlichen Fernsehabend steht nichts mehr im Wege.

Wer in den 80er und 90er Jahren groß geworden ist, kennt dieses Ritual noch. Der Gang in die örtliche Videothek war damals so normal wie das Einkaufen. Daran änderten auch die vielerorts dominanten Schmuddelabteilungen nichts. Früher waren Videotheken die einzige Möglichkeit, um aktuelle Filme zeitnah zu sehen. Heute kämpft die stationäre Ausleihindustrie ums Überleben: Legale und illegale Streaming-Angebote sind leicht erreichbar, Online-Warenhäuser wie Amazon locken ihre Kunden mit Schnäppchenpreisen. Und die Videotheken? Die haben es schwer, mit der raschen Entwicklung Schritt zu halten.

Eine Bestandsaufnahme

Bis zum Jahr 2007 verzeichnete der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels (IVD) noch 4173 Videotheken in Deutschland. Seitdem sinkt diese Zahl stetig: 2014 waren es nur noch 1544, 2015 gar 1212 Videotheken. Die Tendenz ist eindeutig – innerhalb von nur acht Jahren hat beinahe jede vierte Videothek dichtgemacht. Das spiegelt sich natürlich in den Umsätzen wider: 2013 setzte die Industrie noch 210 Millionen Euro bei 77 Millionen Verleihvorgängen um, 2015 nur noch 165 Millionen Euro bei 68 Millionen Ausleihen. Zugleich sank der Preis für die Ausleihen. 2013 nahmen Videotheken im Schnitt noch 2,72 Euro für die Ausleihe eines Spielfilms, 2015 sind es mit 2,42 Euro genau 30 Cent weniger.

Der rückläufige Markt sorgte dafür, dass Videothekenbetreiber ihr Sortiment immer weiter aufstocken mussten. Obwohl der Verleih und Verkauf von DVDs und Blu-rays weiterhin die wichtigste Einnahmequelle ist und gut 64 Prozent des Umsatzes ausmachen, so füllen Konsolen wie PlayStation 4 und Xbox One und Videospiele ebenfalls die Regale. Fast 87 Prozent aller Videotheken führten 2015 mindestens eine Konsole im Sortiment, 79 Prozent verkauften PC- und Videospiele. Sonys Dominanz gegenüber Microsoft zeigt sich auch in diesem Bereich: Die PS4 ist in 85 Prozent der Videotheken mit Konsolenangebot verfügbar, die PS3 immerhin noch in 70 Prozent. Xbox 360 und Xbox One liegen dagegen mit 52 Prozent und 32 Prozent sogar noch hinter Nintendos Wii mit 69 Prozent.
Videothekenbesitzer suchen daher nach lohnenswerten Erweiterungen ihres Sortiments, und nicht selten ähnelt die Kassenabteilung inzwischen einem besseren Kiosk. Dort findet der Kunde kalte Getränke, Snacks wie Eis und Popcorn, aber auch Zigaretten, hochprozentigen Alkohol, Zeitschriften und Poster. Aus der Not heraus werden Videotheken zu Gemischtwarenläden mit Verleihangebot.

Ursachenforschung

Die Unterhaltungsindustrie hat in den vergangenen 15 Jahren eine große Entwicklung durchgemacht. Mit der zunehmenden Verbreitung leistungsstarker Internet-Anbindungen veränderte sich auch das Nutzerverhalten. Videotheken werden von gleich zwei übermächtigen Gegnern in die Zange genommen: Legalen Streaming-Anbietern wie Amazon oder Netflix und illegalen Streaming-Plattformen. Laut dem IVD wurden allein 2014 über 600 Millionen Filme illegal bei Share- oder Videohostern angeboten. Damit sei dem Kino- und Videomarkt bei Einnahmen von 2,674 Milliarden Euro ein Schaden von über 600 Millionen Euro entstanden, teilt der Verband mit. Darin nicht enthalten sind Schäden durch Tauschbörsen und das Usenet. Der IVD spricht sich daher für härtere Richtlinien und Gesetze gegen Piraterie aus. In einem Interview mit dem WDR erklärte Jörg Heinrich, Geschäftsführender Vorstand des IVD: „Es muss endlich etwas passieren. Die Zukunft der Branche hängt davon ab, ob die Behörden die Piraterie in den Griff bekommen.“

Als zugkräftiges Beispiel führen der IVD und die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) die Schließung des Torrent-Portals Kino.to im Juni 2011 an. „Der Media-Control-Index zeigt für die sieben Tage vom 9. bis zum 15. Juni erstmals im Jahr 2011 einen Zuwachs bei den Verleihvorgängen in Videotheken gegenüber dem Vorjahr. Um satte 28,9 Prozent stieg die Zahl der Ausleihen gegenüber dem vergleichbaren Zeitraum 2010“, schrieb der GVU in seinem Blog. Auch in den darauffolgenden Wochen zeigten diese Maßnahmen Wirkung. In der ersten Juliwoche gab es in deutschen Videotheken 41,1 Prozent mehr Ausleihen als im Vorjahr. Der am 12. Juli 2011 erfolgte Start des Nachfolgerprogramms Kinox.to hatte dagegen den gegenteiligen Effekt – plötzlich waren Videotheken wieder im Minus. Media Control meldete zwischen dem 14. und 20. Juli einen Rückgang um zehn Prozent.

Zuversichtlicher Idealismus

Die Traumathek gehört zu den ältesten Videotheken Kölns. Sie entstand 1994 als Herzensprojekt. Inhaberin Karin Hüttenhofer und ihr damaliger Freund wollten einen etwas anderen Verleihservice anbieten: Einen Anlaufpunkt für Indie-Filmfans, für Kreative, für Menschen, die ein Fernseh-erlebnis abseits der Norm suchen. Noch besetzt die Traumathek damit eine Nische. In dem inzwischen 15.000 Filme umfassenden Archiv findet der Cineast ein reichhaltiges Angebot vor: Aktuelle Blockbuster wie Deadpool oder Zoomania sind ebenso Teil des Traumathek-Pools wie exotische Kunst- und Low-Budget-Filme aus Asien oder Afrika.

Über die Jahre ist die Traumathek zwei Mal umgezogen. Anfangs war sie kaum größer als 40 Quadratmeter und mit selbstgebauten Regalen bestückt, inzwischen befindet sich das Ladenlokal im Herzen der Gamescom-Metropole, unweit der Amüsiermeile der Kölner Ringe. Auch Karin Hüttenhofer sah sich gezwungen, ihren Service zu erweitern. Im Eingangsbereich hat sie ein kleines Café eingerichtet. Gäste können hier etwas trinken und ein Stück Kuchen essen, während sie in ausgewählter Literatur blättern oder mit der Besitzerin plaudern. „Die Traumathek war immer auch als Treffpunkt für Filminteressierte gedacht“, erklärt Hüttenhofer beim IGM-Besuch. „Ich erlebe es immer wieder, wie sich Freunde hier zufällig sehen. Oder Kinder, die mit großen Augen begeistert vor den Regalen stehen und mit ihren Eltern einen Film aussuchen. Leider gibt es diese Momente aber immer seltener.“

Denn obwohl die Traumathek mit ihrem gewaltigen Angebot das größte Filmarchiv Nordrhein-Westfalens stellt, kämpft sie mit dem stetigen Rückgang der Kundschaft. Genau deshalb installierte Hüttenhofer auch das Café und richtet derzeit einen kleinen Veranstaltungsraum im hinteren Teil des Ladens ein. Dort sollen zukünftig Filmabende oder Lesungen stattfinden. Erste, inoffizielle Veranstaltungen zeigten bereits, dass das Interesse an solchen Event durchaus vorhanden ist.

Die Besitzerin lässt nichts unversucht, die Traumathek mit interessanten Angeboten weiterhin attraktiv zu machen. Mit der kürzlich eingeführten Flatrate etwa können Kunden täglich eine DVD oder Blu-ray ausleihen und müssen sie auch nicht sofort wieder zurückbringen. Die rund 50 Flatrate-Kunden sorgen Hüttenhofer zufolge für ein „geregeltes Einkommen“ und sichern Ladenmiete und Unkosten. An Urlaub ist trotzdem kaum zu denken, die Videothek ist jede Woche über 60 Stunden geöffnet. Karin Hüttenhofer beschäftigt allerdings noch einige Aushilfen. Alles kann sie auch nicht allein machen.

Der vollständige Artikel mit zusätzlichen Fotos ist in IGM 11/16 erschienen und kann hier online gelesen werden.