Die Fallout-Story: Von Vault-Bunkern, Zeitreisen und Neuanfängen

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Mit seinem postnuklearen Setting zündete die Rollenspielreihe Fallout regelrecht eine Atombombe, versank zwischendurch eher im Sumpf durchschnittlicher Spiele und erlebte ein glorreiches Comeback.In unserem Report beleuchten wir die Geschichte von Fallout und seinen Nachfolgern.

Von Michael Förtsch und Benedikt Plass-Fleßenkämper

Es gibt nur wenige Videospielreihen, die mit ihrem Erscheinen einen solch nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben, wie die „Fallout“-Serie. Experimentierfreude, Glück, Pech, Ambition und die ein oder andere bescheuerte Idee prägen die Historie der Rollenspiel-Saga – ebenso wie der Mut zur Veränderung.

Der Was-wäre-wenn-Faktor

Hätte Stanislaw Petrow am 26. September 1983 einen schlechten Tag gehabt, könnte heute vieles anders sein. Der Offizier hat an diesem Tag die Aufgabe, im Serpuchow-15-Bunker bei Moskau die Daten der sowjetischen Satellitenüberwachung zu kontrollieren. Kurz nach Mitternacht melden die Augen im All den Start einer amerikanischen Atomrakete – gefolgt von vier weiteren. Es könnte der Erstschlag sein – der Moment, an dem der Kalte Krieg heiß wird. Es liegt an Petrow, ob die Sowjetrepublik nun Hunderte Raketen gen Westen feuert. Aber: Er glaubt an einen Fehlalarm und hat damit Recht. Es sind nur Lichtreflexe, die die Satelliten sehen. Damit verhindert der junge Offizier den dritten Weltkrieg – und rettet Millionen Leben.

Der Albtraum vom atomaren Schlagabtausch fasziniert und ängstigt Menschen bis heute. Vor allem die Frage: „Was wäre wenn?“ manifestiert sich in keiner Videospielserie so stark, wie in der „Fallout“-Saga. Denn sie exerziert, wie die Welt ausschauen würde, wenn weniger bedachte Menschen die Hand am roten Knopf hätten: Totes Land, Mutationen und Gewalt. „Dabei war das alles eher Zufall“, sagt Tim Cain im Gespräch, der Mann, ohne den es Fallout niemals gegeben hätte. Der arbeitet 1994 beim Kult-Publisher Interplay („The Bard’s Tale“, „Wasteland“), aber nicht an einem großen Titel. Stattdessen wurstelt er an einer Engine für ein Rollenspiel mit Iso-Perspektive herum. Einen Auftrag oder ein konkretes Ziel hat er nicht. „Tja, so war das damals bei Interplay“, erinnert sich Cain.

Einer derjenigen, dem wir es verdanken, dass "Fallout" heute so illuster und farbenfroh ausschaut, ist der Konzeptzeichner Adam Adamowicz. Er hat unzählige Waffen, Gegenstände und viele fantastische Orte wie Rivet City entworfen oder auch den Prolog von Fallout 4 mitgestaltet. Im Jahre 2012 verstarb er leider an einer Krebserkrankung.

Einer derjenigen, dem wir es verdanken, dass „Fallout“ heute so illuster und farbenfroh ausschaut, ist der Konzeptzeichner Adam Adamowicz. Er hat unzählige Waffen, Gegenstände und viele fantastische Orte wie Rivet City entworfen oder auch den Prolog von Fallout 4 mitgestaltet. Im Jahre 2012 verstarb er leider an einer Krebserkrankung.

Er tüftelte ein System aus, das die Spielwelt in Hex-Felder unterteilt, Reisen über eine riesige Weltkarte und Zufallsbegegnung erlaubt. Insgesamt sechs Monate arbeitete er vor sich hin. „Ich hoffte, dass sich eine Idee findet, die dazu passt“, sagt Cain. Das geschieht dann auch. Bei einem Brettspielabend mit anderen Entwicklern trifft er Grafiker und Autor Scott Campbell. Beide vertiefen sich in ein Gespräch und kommen auf GURPS zu sprechen: Das ist ein vom Spielemacher Steve Jackson erdachtes Pen&Paper-Rollenspielsystem. Die Besonderheit? Anders als „Dungeons & Dragons“ ist es nicht fix an eine Spielwelt gebunden, sondern funktioniert mit Fantasy-, Science-Fiction- und anderen Szenarien – da funkt es!

Dinos und Aliens

Interplay lizenziert GURPS. Den Entwicklern steht damit alles offen. „Wir konnten das RPG-System überall spielen lassen“, begeistert sich Cain. „Auf Raumschiffen, im Mittelalter, was du willst.“ In einer Nacht schreiben Cain und Campbell eine irrsinnige Geschichte zusammen. Die soll mit einem Teenager beginnen, dessen Freundin von einem Kult entführt wird. Bei der Rettungsaktion wird der Held durch ein Wurmloch in die Urzeit geschleudert. Dort findet er eine Zeitmaschine und tötet den Affen, aus dem sich der Mensch entwickelt hätte. Als er zurück in die Zukunft fliegt, beherrschen dort Dinosaurier die Welt. „Kein Scherz“, jauchzt Cain, „wir waren drauf und dran, das zu machen.“

Kollegen raten dem Duo aber zu einer weniger absurden Story. Western-, Horror- und Science-Fiction-Szenarien werden debattiert. Die Lösung bringt Interplay-Chef Brian Fargo: „Warum nicht ein Nachfolger zu ‚Wasteland‘?“ Das postapokalyptische Rollenspiel hat den Entwickler einst bekannt gemacht und der Name ist immer noch groß! Also: GURPS Wasteland soll es werden. Nun stoßen Rollenspiel-Genie Chris Taylor, der Künstler Leonard Boyarsky und Jason Anderson zum Team. Eine Story um einen Desert Ranger und einen Roboteraufstand entsteht. Aber dann ereilt die Entwickler eine vernichtende Nachricht: Electronic Arts hat die Rechte an „Wasteland“ – und die will der Publisher nicht hergeben.

Doch das Team sieht keinen Grund, alles abzublasen. „EA konnte uns zwar verbieten, ein neues Wasteland zu entwickeln, aber nicht ein Postapokalypse-Game“, sagt Tim Cain. „Es brauchte nur einen neuen Ansatz.“ Unter den Ideen: Der Kampf gegen eine „Horde“ aus menschenähnlichen Waschbären und Ratten. Ebenso erdachte man ein Szenario, das an den MMO-Shooter „Destiny“ erinnert. „Wir überlegten, dass Aliens den Planeten verwüstet hätten“, erklärt der Entwickler. „Der Held macht sich aus der letzten verbliebenen Stadt auf, um die Aliens zu vertreiben.“ Aus beiden Einfällen wird nichts, aber sie enthalten schon die Kernelemente der „Fallout“-Saga: der einsame Held und seine Mission.

Der vollständige Artikel inklusive zahlreicher Zusatzinformationen ist am 30. September 2017 bei PC Games.de erschienen.