Kriegssimulation „This War of Mine“: Überlebenskampf als Computerspiel

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„This War of Mine“ ist ein Kriegsspiel. Aber eines, in dem alles ganz anders ist:

Der Spieler schlüpft nicht in die Rolle eines Soldaten, sondern muss eine Gruppe von Zivilisten im Überlebenskampf begleiten. Das ist beklemmend – und lehrreich.

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Kriegsspiele vom Typus „Call of Duty“ sind erfolgreich – und immer gleich: stereotype Charaktere, schwarz-weiße Feindbilder und Supersoldaten-Klischees. Zwar überraschte das Berliner Studio Yager 2012 mit dem Anti-Kriegsspiel „Spec Ops: The Line“, das in „Herz der Finsternis“-Manier die Kriegstraumata von Soldaten in den Vordergrund rückte. Doch so radikal wie die polnischen Indie-Entwickler 11 Bit Studios ist bislang noch niemand mit dem Thema umgegangen: In „This War of Mine“ lenkt der Spieler die Geschicke einer Gruppe Zivilisten, die im Krieg ums Überleben kämpft.

Das klingt nach wenig Spaß, aber um den geht es auch gar nicht, wie Chefautor Pawel Miechowski, 35, verrät. „Wir wollen eine Botschaft transportieren: Dieser Krieg kann jederzeit auch bei dir passieren.“ Der Spieler wird in die Lage eines Kriegsopfers versetzt: „Was würdest du tun, wenn deine Stadt bombardiert wird, wenn deine Familie in Gefahr ist? Wie weit würdest du gehen, um zu überleben? Würdest du jemanden töten, wenn du am Verhungern bist?“

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Bei der Entwicklerkonferenz GDC wurde das noch in der Entwicklung befindliche Spiel kürzlich präsentiert, noch in diesem Jahr soll es veröffentlicht werden. Der Look ist düster und minimalistisch. „This War of Mine“ sieht aus, als wäre es mit dem Kohlestift schraffiert worden. Die Survival-Simulation folgt dem Permadeath-Prinzip anderer Indie-Spiele wie „Don’t Starve“. „Es gibt hier keine Missionen, man kämpft einzig und allein ums Überleben. Wenn deine Leute sterben, stehen sie nicht wieder auf“, sagt Miechowski.

Mein Haus, mein Krieg, mein Leben

„This War of Mine“ ist geprägt vom Tag-Nacht-Zyklus, einem gemächlichen Tempo und realistischen Problemen. Man steuert seine Figuren mit Mausklicks durch die vier Stockwerke eines zerbombten Gebäudes, in einer Etage befindet sich der Unterschlupf der eigenen Gruppe. Bei Tag darf niemand das Haus verlassen, weil draußen – wie im Syrien-Krieg – Scharfschützen lauern. Also wartet man bis zum Einbruch der Dunkelheit, bevor man ein Gruppenmitglied aussenden kann, das nach Nahrung, Waffen und Gegenständen sucht. Tagsüber lässt man seine Charaktere im Schutt der Hausruine wühlen, mit anderen Zivilisten reden, Tauschgeschäfte abschließen und die Behausung ausbauen. Symbole und Balken zeigen an, wie es um Hunger, Durst, Schlaf und Sauberkeit der virtuellen Menschen bestellt ist.

Wer sich nicht regelmäßig wäscht, fängt sich eine Hautkrankheit ein. Also müssen Seife und sauberes Wasser her. Wer in einem Bett schläft, statt auf dem harten Dielenboden, ist am nächsten Tag fitter. Doch für den Bettenbau benötigt man Holz, Nägel und Stoff. Möchte man den Durst seiner Charaktere mit Regenwasser stillen, muss dieses in einem einem zuvor selbst gebauten Auffangbehälter gesammelt und hinterher im Wasserfilter gereinigt werden, da die Gruppe sonst krank wird.

„Für Wodka bekommt man im Krieg fast alles“

Häufig muss man drastische Entscheidungen treffen, immer wieder abwägen, von welchem Mitglied die Gruppe am ehesten profitiert. War Zivilist Roman zu Friedenszeiten etwa Tischler und ist obendrein kerngesund, könnte man versucht sein, ihm die letzte Essensration zu geben, nicht der kranken Katia. Damit nimmt man zwar deren Tod in Kauf, doch die übrigen Gruppenmitglieder haben eine höhere Überlebenschance.

Tauschgeschäfte mit den Computercharakteren spielen ebenfalls eine zentrale Rolle: Hat man ein paar Nägel über, tauscht man die gegen Kohle, die man für einen Ofen braucht, der Wärme und eine Kochmöglichkeit bietet. Schafft man es gar, sich eine Destille zu basteln um damit Wodka zu produzieren, ist man bei den Soldaten äußerst beliebt – und kann den Selbstgebrannten womöglich gegen ein Waffe eintauschen. Die ist wiederum überlebenswichtig, um Plünderer abzuwehren. Miechowski: „Die Armeen statten ihre Soldaten in der Regel mit allem aus – außer Alkohol. Für Wodka bekommt man im Krieg fast alles.“

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Die Idee zu „This War of Mine“ kam den Machern, die bislang Tower-Defense-Titel wie die „Anomaly“-Reihe entwickelt haben, nach dem Lesen eines Erfahrungsberichts aus einem Kriegsgebiet: „In diesem Text beschreibt ein Mann, wie er in einer besetzten Stadt im Bosnien-Krieg überlebt hat, was er alles dafür tun musste. Das hat uns tief beeindruckt.“ Später habe man sich auch mit aktuellen Konflikten wie denen in Syrien oder im Irak beschäftigt.

Miechowski hat keine Angst davor, dass „This War of Mine“ manchem Spieler zu ernst sein könnte. „Computerspiele sind eine Kunstform und können großartige Geschichten erzählen“, sagt er. „Bücher und Filme sind dafür ebenfalls gut geeignet, aber dort bist du immer nur Zuschauer und kein Teil der Welt, die beschrieben wird.“

Der vollständige Artikel mit Klickstrecke ist am 12. April 2014 bei Spiegel Online erschienen.