Rallye-Games: Renaissance der Dreckschleudern

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Staubt, rutscht und röhrt: Jahrelang waren Rallye-Simulationen von der Bildfläche verschwunden. Jetzt feiern realistische Rennspiele wie „Dirt Rally“ ein Comeback.

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

„Innen links drei lang, nicht schneiden“, kommentiert der Co-Pilot, während der Spieler seinen Subaru Impreza über die Schotterpisten Griechenlands scheucht. Sein einziger Gegner ist die tickende Uhr, denn rempelnde Computerkontrahenten spielen in Dirt Rally keine Rolle. Es klingt simpel: Wer die schnellste Zeit fährt, gewinnt die Etappe.

Für den schnellen Fahrspaß ist die Rallye-Simulation des britischen Studios Codemasters jedoch denkbar ungeeignet. Hier dreht sich alles um die Beherrschung der Offroad-Boliden, die man auf Asphalt, Eis oder Schlamm durch enge Schikanen, über Bodenwellen und vorbei an Geröll und Zuschauern navigieren muss. Eine Unachtsamkeit, ein Fahrfehler, und der Etappensieg ist dahin. Eine Rückspulfunktion wie in anderen modernen Rennspielen gibt es in Dirt Rally ebenso nicht wie die Einblendung der Ideallinie.

Dass Dirt Rallye von Spielern geliebt und von Fachmagazinen gefeiert wird, war nicht abzusehen. Zwar hatte Codemasters mit Colin McRae Rally 1998 die digitale Simulation des Rallyesports etabliert und in vier weiteren Spielen verfeinert. Ab dem Neustart Colin McRae: Dirt von 2007 hieß es allerdings: weniger Simulation und Anspruch, stattdessen Computergegner, Action und Gymkhana. Der Markt für authentische Rallye-Games schien tot zu sein; das 2004 erschienene Richard Burns Rally etwa fand trotz guter Kritiken nur wenige Abnehmer.

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Tradition verpflichtet

Dirt Rally folgt der Tradition der frühen Colin McRae-Titel. Das Herzstück ist der Karrieremodus. Hier treten die Spieler in sechs Ländern an und versuchen, in jeweils mehreren Etappen Bestzeiten zu erzielen. Wo die Asphaltkurse Deutschlands noch vergleichsweise einfach zu bewältigen sind, stellen die Matschpisten in Wales oder die verschneiten Wälder Schwedens deutlich höhere Anforderungen. Manchmal ändert sich der Straßenbelag sogar innerhalb einer Etappe – und damit das komplette Fahrgefühl. Hinzu kommen wechselnde Wetterbedingungen und Tageszeiten. Es gilt, auf jede Eigenheit des Kurses zu reagieren und Fahrfehler zu vermeiden. Wer zu schnell in eine Kurve driftet, hektisch bremst oder die Ansagen des Beifahrers ignoriert, landet im Kiesbett oder knallt gegen einen Baum.

Unfälle sind in Dirt Rally der Worst Case: Für das Zurücksetzen auf die Strecke gibt es Strafsekunden, Etappen-Neustarts kosten einen Teil der Siegprämie. Obendrein wirken sich Karambolagen spürbar auf die Vehikel aus. Um Fahrzeugschäden vor dem nächsten Rennen von seiner Crew reparieren zu lassen, hat der Pilot bloß 30 Minuten. Da diese Zeit meist nicht ausreicht, um sämtliche Defekte zu beseitigen, muss er sich entscheiden, welche Komponenten seines Autos er sofort wieder instand setzt und welche vorerst noch warten müssen. Der Realismus zeigt sich auch bei der Feinabstimmung des Wagensetups. Ob Radaufhängung oder Stoßdämpfer, man darf jedes noch so kleine Detail seines Autos verändern. Praktisch ist die Integration des Steam Workshops: Jeder Spieler kann seine Einstellungen für eine Strecke und ein Auto hochladen und anderen Nutzern zur Verfügung stellen.

Dirt Rally spielt sich insbesondere per Lenkrad hervorragend, kann aber auch frustrieren – vor allem, wenn man eine nahezu perfekte Etappe gefahren ist und aufgrund eines Fahrfehlers kurz vor dem Ziel den sicher geglaubten Sieg abgeben muss. Und dennoch: Steuerung und Fahrphysik sind so ausgefeilt, dass man nie das Spiel dafür verantwortlich macht, wenn man auf der Strecke versagt.

Der vollständige Artikel ist am 19. Januar 2016 bei Zeit Online erschienen.