Retro-Experiment: Vater lässt Sohn 25 Jahre Videospielgeschichte nachspielen

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Medienerziehung mal anders: Andy Baio wollte seinem Sohn die Welt der Videospiele so zeigen, wie er sie selbst kennengelernt hatte… und schickte ihn vier Jahre lang auf eine Reise durch die Games-Historie.

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Der Amerikaner Andy Baio, Jahrgang 1977, ist nicht nur Journalist, Blogger, Technikexperte und ein begeisterter Spieler. Er ist auch der Vater des heute zehnjährigen Eliot. Als Eliot vier Jahre alt war, startete Baio ein ungewöhnliches Experiment: Er ließ seinen Sohn anhand ausgewählter, kindgerechter Werke 25 Jahre Videospielgeschichte in chronologischer Reihenfolge nachspielen.

„Bevor mein Sohn auf die Welt kam, hatte ich mit einigen Kollegen gewitzelt, dass ich irgendwann mal ein solches Experiment durchführen würde. An Eliots viertem Geburtstag dachte ich mir: Okay, jetzt probiere ich das einfach aus“, erinnert sich Baio im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.

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Los ging es mit dem Klassiker „Pac-Man“ von 1980 sowie einigen weiteren Titeln aus dem „goldenen Zeitalter der Arcade-Spiele“, wie Baio auf Medium.com schreibt. Darunter befanden sich zum Beispiel die Spielhallen-Shoot’em-ups „Galaxian“ und „Galaga“, die in Ermangelung originaler Arcade-Automaten auf einem Plug-and-Play-Gerät gespielt wurden.

Anschließend entstaubte Baio seine Atari 2600 und ließ Eliot die wichtigsten Spiele dieser Kultkonsole erforschen, etwa den Baller-Reaktionstest „Asteroids“, aber auch historisch relevante Fehltritte wie „E.T.“. Gelegentlich fragte sich der junge Vater, ob sein Experiment pädagogisch vertretbar sei. Scherzhaft berichtet er von Alpträumen, in denen „ein sechsjähriger Athlet mich anbettelt, nach draußen zu gehen und Football oder Baseball zu spielen.“ Aber die Zweifel waren schnell weggewischt, so Baio. „Ich hätte Eliot niemals dazu gedrängt zu spielen. Er zeigte aber echtes Interesse, war regelrecht enthusiastisch. Und er lernte enorm schnell, entwickelte erstaunliche Reflexe.“ Baios Ehefrau war ebenfalls einverstanden: „Sie begrüßte die Idee allein schon, weil Eliot und ich so viel Zeit miteinander verbringen würden.“

Mit viereinhalb in die 8-Bit-Ära

Etwa vier Monate nach Start des Experiments – Eliot war keine viereinhalb Jahre alt – zogen Vater und Sohn in die 8-Bit-Ära weiter und widmeten sich den Meilensteinen für das Nintendo Entertainment System: Ob Jump-&-Run-Pionier „Super Mario Bros.“, Actiontitel wie„Mega Man“ oder das Abenteuerspiel „The Legend of Zelda“ – Eliot erwies sich als ebenso geschickter wie ausdauernder Spieler.

Mit sechs Jahren war Eliot bereits in der Lage, schwere NES-Spiele wie die „Castlevania“-Reihe oder „Contra“ ohne väterliche Hilfe durchzuspielen.

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Nun folgte das 16-Bit-Zeitalter in Form der Super-Nintendo-Konsole. Das war nicht nur für Eliot spannend, sondern auch für Andy Baio, da dieser ab Anfang der Neunzigerjahre primär auf dem PC gespielt hatte und deshalb viele der Titel aus dieser Zeit nicht kannte. Eliot beendete in den Folgemonaten vor allem bekannte Spiele wie „The Legend of Zelda: A Link to the Past“ und „Super Mario World“, aber auch eher unbekannte wie das ausschließlich in Japan und den USA veröffentlichte Geologie-Abenteuer „E.V.O.: Search for Eden“.

Games-Geschichtsstunde dank PC-Emulatoren

Diese Super-Nintendo-Spiele erforschten Baio und sein Sohn ebenso wie die nun folgende Nintendo-64-Epoche mit Hilfe von PC-Emulatoren, da sie die Klassikerkonsolen nicht besaßen. Auf dem Retro-Lehrplan standen unter anderem die Actionabenteuer „Ocarina of Time“ und „Majora’s Mask“, außerdem „Robot on Wheels“, ein „kriminell unterschätztes“ Plattformspiel, wie Baio betont.

Eines der populärsten Spiele aus dieser Dekade durfte nicht fehlen:„Super Mario 64“ sei zwar „schlecht gealtert, so wie die meisten frühen 3D-Spiele“, sagt Baio, Eliot liebte es trotzdem. Und schaffte es gar, sämtliche der 120 im Spiel zu sammelnden Sterne zu ergattern – eine große Herausforderung, die schon anno 1996 nur die ausdauerndsten Spieler bewältigt hatten.

mario64 Auf der Playstation 2 startete das Vater-Sohn-Duo schließlich ins neue Jahrtausend durch und widmete sich Meisterwerken wie „Ico“ und„Shadow of the Colossus“. Mit dem in Deutschland unveröffentlichten„Katamari Damacy“ aus dem Jahr 2004 – Eliots Geburtsjahr – beendete Andy Baio schließlich die digitale Exkursion.

Eliot mag auch „Minecraft“

Er hofft, dass er seinem Sohn durch die Games-Zeitreise „den Blick für kleinere, intimere Spiele“ geöffnet hat. Dies ist Baio offensichtlich geglückt, zu Eliots aktuellen Lieblingstiteln zählen primär Indie-Entwicklungen und Spiele im Retrostil. Allen voran mag der Zehnjährige den Kreativbaukasten „Minecraft“. Er schätzt aber auch das Sandbox-Spiel „Terraria“, die Überlebenssimulation „Don’t Starve“ und schwer zu meisternde Indie-Produktionen wie „Nuclear Throne“ und „Spelunky“.

Insgesamt wertet Baio sein Experiment als Erfolg. Retrospiele seien wesentlich besser für Kinder geeignet als „moderne Triple-A-Monstrositäten wie ‚Destiny‘ und ‚Call of Duty‘„.

„Die klassischen Titel haben eine extrem simple Grafik und sehr einfach zu erlernende Mechanismen“, sagt er. „‚Frogger‘, ‚Asteroids‘ oder ‚Pac-Man‘ versteht jedes Kind auf Anhieb, man braucht nur Koordination und Geduld, um sie zu spielen.“

Der vollständige Artikel ist am 26. Dezember 2014 bei Spiegel Online erschienen.