„The Book of Unwritten Tales 2“: Kitsch-Alarm im Fantasy-Land

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„The Book of Unwrittes Tales 2“ zeigt einmal mehr, dass deutsche Entwickler im Adventure-Genre an vorderster Front mitmischen – und sich was trauen.

Von Sönke Siemens

Wenn das neue Point & Click-Abenteuer des Bremer Entwicklers King Art am 20. Februar 2015 im Fachhandel erscheint, hat ein Großteil der Fangemeinde es wahrscheinlich schon zu 80 Prozent durchgespielt. Wie das funktionieren soll? Ganz einfach: Das Studio mit Sitz in der Weser-Metropole entschloss sich bereits 2014, „The Book of Unwritten Tales 2“ häppchenweise als sogenannte „Early Access“-Version über die Download-Plattform Steam zu veröffentlichen. Das Konzept ging auf: Der Entwickler konnte erste Einnahmen generieren und Feintuning-Feedback sammeln, während die Unterstützer begeistert waren, schon vor allen anderen loslegen zu dürfen. Doch wie gut fügt sich alles zusammen, jetzt, wo die letzte der insgesamt fünf Episoden erschienen ist?

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Dicker Brocken

The Book of Unwritten Tales 2 spielt etwa ein Jahr nach den Ereignissen des ersten Teils. Die einstigen Helden sind in alle Winde verstreut und müssen sich mit völlig unterschiedlichen Problemen herumschlagen. Situationen, die erst im Spielverlauf ein schlüssiges Gesamtbild formen und ein Blick auf das große Ganze offenbaren. Da wäre zum Beispiel Freibeuter Nate. In einem Affenzahn und nur festgeklammert an einen Mast aus Holz, rauscht er zu Spielbeginn dem Erdboden entlegen. Wer oder was ihn in diese höchst missliche Lage gebracht hat? Ein Klick in unsere Bildergalerie verrät es. Letztlich ist der Prolog in Nates Rolle aber nur der turbulente Auftakt für ein Point & Click-Abenteuer, das den Spieler gut und gerne 20 bis 25 Stunden an den Bildschirm fesselt.

Rätselhafte Schwangerschaft

Hat man die ersten Eskapaden einigermaßen überstanden, wechselt das Szenario ziemlich abrupt zur Elfe Ivo. Im Dialog mit ihrer Mutter wird ihr recht deutlich nahegelegt, dass sie gut daran täte, ein paar Pfunde abzuspecken. Nur so würde sie dem in Bälde anreisenden Prinzen gefallen. Ivo allerdings hat ganz andere Sorgen. Ein seltsames Unwohlsein zum Beispiel, dass sich schon bald als Fluch-bedingte Schwangerschaft herausstellt – sagt zumindest ein neunmalkluges Buch und rät ihr, Erzmagier Alastair zu besuchen. Da die kecke Elfe die Kompetenz des sprechenden Folianten nicht in Frage stellt, nimmt das Abenteuer schon bald seinen Lauf.

Virenalarm im Menschenreich

Wie man ebenfalls in den ersten Spielstunden herausfindet, grassiert außerhalb des Elfenreiches eine merkwürdige Seuche. Egal, ob Menschen, Tiere oder Dinge – wer oder was sich damit infiziert, verwandelt sich in eine Kitsch-Fassung seiner selbst. Doch damit nicht genug der Querelen: Spielfigur Nummer drei, der gutherzige Gnom Wilbur Wetterquarz, soll einen Mord begangen haben. Wie all das zusammenhängt? Genau das gilt es, in insgesamt fünf Kapiteln herauszufinden.

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Flotte Gag-Parade

Wie schon das Vorgängerspiel The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken quillt auch Teil zwei der „The Book of Unwritten Tales“-Reihe über vor Gags und Seitenhieben auf bekannte Filme, Bücher und Spiele aus dem Fantasy-, Märchen- und sogar Zeichentrick-Kosmos. Von „Der Herr der Ringe“, „Harry Potter“ und „Schneewittchen“ über „Star Wars“, „Minecraft“ und „Final Fantasy“ bis hin zu Disneys „Monster AG“ und mehr – jeder bekommt hier sein Fett weg. Die Anspielungen selbst rangieren nicht selten auf einem sehr subtilen Level, was gut zum unterschwelligen Humor der Story passt. Transportiert wird die Gag-Breitseite dabei vorrangig innerhalb der sehr amüsant geschrieben Dialoge. Insgesamt 150.000 Wörter umfasst das Skript diesmal – und fällt damit knapp 50 Prozent umfangreicher aus als im ersten Teil.

Synchronsprecher-Staraufgebot am Werk

Richtig zum Leben erweckt werden die charmanten Figuren jedoch erst durch das großartige Synchronsprecher-Aufgebot. Oliver Rohrbeck zum Beispiel – die deutsche Stimme von Ben Stiller – spricht Wilbur und lässt dabei kaum etwas anbrennen. Nate und Ivo sind mit Dietmar Wunder (Stimme von Daniel Craig) respektive Marion von Stengel (Angelina Jolie) ebenfalls toll besetzt. Dazu gesellt sich weitere Sprecher-Prominenz, etwa Bernd Vollbrecht (Antonio Banderas), Bodo Wolf (Tony Shalhoub alias Monk), Stefan Krause (Philip Seymour Hoffman), Gerrit Schmidt-Foß (Leonardo Di Caprio) und Detlef Bierstedt (George Clooney).

Nicht zu schwer…

Und wie schlägt sich die King-Art-Produktion an der Rätselfront? Sehr ordentlich, wenngleich echte Geniestreiche ausbleiben. Beispielsweise gilt es, Wilburs Hasenschaf Fridolin von einem wichtigen Notizblock wegzulocken, an dem es schon seit einiger Zeit genüsslich knabbert. Das Problem: Jedes Mal, wenn man ihm Futter reicht, will Fridolin noch mehr. Erst, wenn man Futter aufs Bett streut und zum Nachspülen Wasser reicht, entfaltet das aufquellende Instant-Futter seine sättigende Wirkung. Fridolin wird rund wie ein Medizinball und lässt sich kinderleicht zur Seite rollen, was ziemlich komisch rüberkommt, zudem aber auch recht originell und irgendwie logisch ist.

…nicht zu leicht

Echte Adventure-Veteranen bringt das jedoch nicht gerade ins Schwitzen. Gleiches gilt für einen Großteil späterer Rätsel. Doch seien wir mal ehrlich: Besser mehrere Dutzend logische Rätsel als ständige Querdenker-Einlagen, die so schräg ausfallen, dass nur wirres Experimentieren zum Ziel führt. Hier findet The Book of Unwritten Tales 2 ganz klar einen sehr guten Mittelweg, der darüber hinaus für einen angenehmen Spielfluss sorgt. Klassische Rätselhilfen gibt es keine. Wer gleichwohl den Dialogen aufmerksam folgt und sich ab und an mittels Leertaste die wichtigen Objekte einer Szenerie anzeigen lässt, wird kaum Schwierigkeiten haben.

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Was uns gefällt

Kommt man mal nicht weiter, ist der Plot in der Regel so aufgebaut, dass man an mehreren Rätseln parallel knobeln darf. Das beugt Frustphasen vor und führt zuweilen dazu, dass man eher unbeabsichtigt einige der optionalen Puzzles löst. Deren Entwirrung belohnt das Spiel mit neuen Outfits für den gerade aktiven Helden. Ivo zum Beispiel kann einen Meisterangler-Hut aus dem Teich in ihrem Garten fischen. Schön für Fremdsprachen-Fans: Auf Knopfdruck lässt sich die gesprochene Sprache im Spiel zwischen Deutsch und Englisch wechseln, wobei auch die englische Version einen sehr gelungen Eindruck hinterlässt. Weitere Pluspunkte gibt’s für die üppig ausgestattete, nur unwesentlich teurere „Almanac Edition“ (45 Euro) inklusive 100-seitigem Hardcover-Artbook, Making of-DVD, Soundtrack, A3-Wendeposter und einer Funktion zum Anpassen der Farbe von Nates quirligem Sidekick Vieh.

Was uns nicht gefällt

Dem Einstieg mit Elfe Ivo fehlt es ein bisschen an Esprit, erst ab dem zweiten Akt mit Wilbur in der Hauptrolle nimmt der Schmunzelfaktor deutlich zu. Abenteuer-Grünschnäbel ohne jegliche Erfahrung werden zudem eine klassische Hilfefunktion abseits der praktischen „Hier gibt’s was Interessantes“-Indikatoren vermissen. Hinzu kommen einige wenige, ineinander clippende Polygone und Szenen, in denen man sich mehr Animationsphasen gewünscht hätte – unterm Strich aber nichts Weltbewegendes.

Fazit

The Book of Unwrittes Tales 2 zeigt einmal mehr, dass deutsche Entwickler im Point & Click-Genre an vorderster Front mitmischen und sich was trauen. Im späteren Spielverlauf zum Beispiel mutiert der Titel zunächst zum klassischen Pixelabenteuer, gefolgt von einem Zeitsprung in die Welt der Retro-Textadventures – brillant! Dazu die talentierte Sprechergarde, der stimmige Orchestersoundtrack, die liebevoll gestalteten Örtlichkeiten, die schrägen Nicht-Spieler-Charaktere und die zahllosen Anspielungen auf alles, was im Fantasy-Universum Rang und Namen hat. Wer schon anno dazumal „The Secret of Monkey Island“, „Discworld“ oder „Simon the Sorcerer“ verschlungen hat, wird sich hier pudelwohl fühlen.

Infos zum Spiel

Titel: The Book of Unwritten Tales 2
Genre: Adventure
Publisher: Nordic Games
Hersteller: King Art
Release-Termin: 20. Februar 2015
Preis: zirka 35 Euro
System: PC, Mac, Linux
USK-Freigabe: Ab 12 Jahren
Wertung: Sehr gut

Erschienen am 18. Februar 2015 bei T-Online.