„The Order: 1886“: Zwischen Teslaspule und Tafelrunde

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Viel Film, wenig Spiel: „The Order: 1886“ ist ein cineastischer Actionkrimi im viktorianischen London, lässt aber spielerische Substanz und Wahlmöglichkeiten vermissen.

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Wie viel Computerspiel dürfen Käufer erwarten, wenn sie knapp 70 Euro für einen neuen Titel ausgeben? Diese Frage beschäftigt Gamer und Studios derzeit gleichermaßen. Anlass ist The Order: 1886, das am morgigen Freitag exklusiv für die PlayStation 4 erscheint. Der mittlerweile gesperrte YouTube-Kanal PlayMeThrough hatte den Actiontitel bereits einige Tage vor dem offiziellen Verkaufstermin im Komplettdurchlauf gezeigt – und für die 16 Kapitel lediglich fünf Stunden benötigt. Das sorgte für heftige Kontroversen im Netz: Die Spielzeit sei zu kurz für eine teure Triple-A-Produktion, die zur Hälfte aus Zwischensequenzen besteht und keinen Mehrspieler-Modus besitzt, heißt es von Seiten vieler Gamer. Die Entwickler von Ready at Dawn kritisierten ihrerseits in einem Interview die Negativität, die ihnen entgegenschlug.

Die überschaubare Spielzeit, die sich in der Praxis je nach gewählter Schwierigkeitsstufe zwischen sieben und zehn Stunden einpendelt, ist aber gar nicht mal das Hauptproblem des ambitionierten PS4-Spiels. Studioboss, Kreativdirektor und Chefautor Ru Weerasuriya beschreibt The Order: 1886 im Gespräch mit ZEIT ONLINE als „atmosphärisches Actionabenteuer in einer alternativen Realität“; Publisher Sony bewirbt das Spiel als filmreifes Erlebnis mit „Gameplay-Funktionen, die das Genre vorantreiben“. Doch diese Versprechen kann The Order: 1886 nur ansatzweise einlösen.

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Dabei nutzen die Entwickler mit dem viktorianischen London zur Blütezeit der industriellen Revolution einen vergleichsweise unverbrauchten Schauplatz und arbeiten historische Orte und Persönlichkeiten in einen durchaus packenden Plot ein, der die im Spiel unsterblichen Ritter der Tafelrunde, Werwölfe und eine Rebellion zum Thema hat. Der Spieler verkörpert den Protagonisten Grayson alias Sir Galahad, der im Storyverlauf eine Verschwörung aufdeckt. Schnell lernt man weitere Figuren kennen, darunter den Marquis de Lafayette oder Nikola Tesla, der mit dem Ritterorden kooperiert und ihn mit Waffen und Erfindungen versorgt.

Dickens und „Blade Runner“ als Inspirationsquellen

Im alternativen London des 19. Jahrhunderts sind Spieler meistbei Regen und Nebel unterwegs, erkunden Hyde Park, Westminster Abbey oder die U-Bahn. Die detailverliebte Darstellung der britischen Metropole zählt zu den Stärken von The Order: 1886, ebenso der Orchester-Soundtrack, die deutsche Synchronisation sowie die lebensechten Bewegungen der Charaktere, die Ready at Dawn mittels eines aufwendigen Motion-Capturing-Verfahrens realisiert hat. Auf die glaubwürdige Physiksimulation ist Weerasuriya besonders stolz: „Wird Ihre Figur angeschossen, dann läuft Blut aus der Wunde und verteilt sich auf der Uniform. Bei Explosionen wird ihr Ruß ins Gesicht geblasen.“

Die Entwicklung von The Order: 1886 wurde laut Weerasuriya stark von Charles Dickens sowie dem Film Blade Runner beeinflusst. Im Steampunk möchte er sein Spiel aber nicht verorten: „Wir sind deutlich weniger mechanisch und glaubhafter. The Order hat wenig mit den Welten von BioShock zu tun“, betont er.

Seinen cineastischen Anspruch unterstreicht The Order: 1886 in oft minutenlangen, nicht unterbrechbaren CGI-Sequenzen, die nahtlos in die Spielgrafik übergehen. Wenn die Ordensritter ein fliegendes Luftschiff entern oder wenn sich Wut und Trauer in Galahads Miene zeigen, hat das tatsächlich fast schon Filmqualität. Dafür stören die Szenen den Spielfluss.

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Auch das Cinemascope-Format mit seinen schwarzen Balken am oberen und unteren Bildschirmrand, das laut Ready at Dawn den filmischen Charakter des Spiels unterstreichen soll, stört die Immersion. Wahrscheinlich nutzen die Programmierer diesen technischen Kniff auch nur, um den PS4-Grafikchip zu entlasten.

Noch schwerwiegender ist jedoch das Fehlen jeglicher Dialogoptionen: Wo man in anderen interaktiven Videospielen wie den Werken Heavy Rain, Beyond: Two Souls oder Life is Strange die Möglichkeit hat, in ein Gespräch einzugreifen, dessen Ausgang und damit manchmal sogar die weitere Handlung zu beeinflussen, ist man hier stets passiver Zuschauer. Das wäre verschmerzbar, würden die Figuren sich weiterentwickeln und Dialoge und Geschichte die Qualität wie in The Last of Us erreichen, dem The Order: 1886 im Kern ähnelt. Das ist jedoch nicht der Fall. Abgesehen von Galahad und ein, zwei Ausnahmen bleiben die Charaktere blass und die Story vorhersehbar.

Wenig Freiraum für Spieler

Spielerisch bietet The Order: 1886 nur Standardkost. Verfolgt man gerade keine filmische Szene, schießt sich Galahad auf linearem Weg durch. Er sucht wie in einem Deckungsshooter hinter Mauern oder anderen Objekten Schutz, um sich mit Gewehren, Pistolen und Granaten seiner Gegner zu entledigen. Selbst eine Art Zeitlupenfunktion wie in den Max-Payne-Titeln ist vorhanden. Diese löst man aus, indem man auf Knopfdruck die sogenannte Schwarzsicht aktiviert und anschließend für kurze Zeit präziser zielen kann.

Weiterhin gilt es, gelegentliche Schleicheinsätze zu absolvieren, etwa unerkannt einen Park zu infiltrieren und dabei berechenbar agierende Wachen per Betäubungspfeil aus der Armbrust auszuschalten. Das ist sattsam bekannt und wurde von Stealth-Spielen wie Metal Gear Solid und Splinter Cell schon vor Jahren besser gelöst.

The Order: 1886 lässt Spielern kaum Freiheiten. Viele Gebäude kann man schlichtweg nicht erkunden, alternative Routen gibt es nicht. Schaut man sich aufmerksam um, findet man zwar Gegenstände wie Fotos oder Zeitungsausschnitte und darf diese untersuchen, aber eben nichts mit ihnen anstellen. Die einzige Motivation, sich die Areale genauer anzusehen, sind versteckte Tonbandaufzeichnungen, die weitere Hintergrundinformationen zur Spielwelt liefern.

Der vollständige Artikel ist am 19. Februar 2015 bei Zeit Online erschienen.