Tod, Gewalt, Sex: Die Sache mit der Moral in Spielen

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Töten ist in vielen kommerziell erfolgreichen Titeln ein zentrales Spielelement. Warum ist das so? Und warum sind Themen wie Sexualität oder Missbrauch oft tabu?

Von Stephan Petersen und Benedikt Plass-Fleßenkämper

Die niedliche Schildkröte zieht friedlich ihres Weges. Da taucht ein Typ mit roter Mütze und blauer Latzhose auf. Zunächst geht er ein paar Schritte, dann nimmt er plötzlich Anlauf. Der wird doch nicht etwa…? Doch! Der miese Kerl springt in die Luft – und landet mit voller Wucht auf der Schildkröte. Die macht noch eine Pirouette und bleibt danach bewegungslos liegen. Gewalt ist in Computerspielen allgegenwärtig. Sie umgibt sie, sie durchdringt sie. Sie hält die Games- Welt zusammen. Ob nun im knuddeligen Jump’n’Run mit zuckersüßer Grafik oder im knallharten Ego-Shooter, in dem das Blut hektoliterweise spritzt – Gewalt ist in unterschiedlichen Formen und Abstufungen Bestandteil vieler Spiele. Das zeigt auch ein Blick auf die Verkaufscharts diverser Elektronikfachmärkte und Online-Versandhäuser, die meisten kommerziell erfolgreichsten Spiele beinhalten Gewalt. Klar, Sportspiele wie FIFA 17 oder Simulationen à la Der Landwirtschafts-Simulator sind immer mal wieder dabei. Aber das Gros der Spiele setzt auf virtuelle Gewalt.

Eine Geschichte der Computerspiel-Gewalt

Alles begann 1962 mit für heutige Verhältnisse archaischer Grafik und einem simplen Spielprinzip. Spacewar! war nicht nur eines der ersten Videospiele überhaupt, sondern beinhaltete schon Gewalt – wenn auch in sehr abstrakter Form. Zwei Raumschiffe, die jeweils von einem menschlichen Spieler oder dem Computer gesteuert werden, umkreisen eine Sonne, deren Gravitationsfeld die Geschosse und die Raumschiffe anzieht. Wer einen Treffer beim Gegner landet, der gewinnt. Alternativ geht man siegreich aus der Weltraumschlacht hervor, wenn das feindliche Raumschiff in die Sonne stürzt. 1974 erschien mit Maze War bereits einer der ersten Ego-Shooter. Hier wandert der Spieler durch ein 3D-Labyrinth aus grünen Vektorlinien und macht Jagd auf Gegner oder wird selbst zum Opfer. Selbst zwei der prägendsten Spiele der frühen Videospielhistorie, Space Invaders (1978) und Pac-Man (1980), hatten Gewalt im Gepäck. 1985 erschien dann das Hüpfspiel mit dem oben erwähnten aggressiven italienischen Klempner: Super Mario Bros. Gewalt in unterschiedlicher Ausprägung ist jedoch auch abseits actionhaltiger Genres anzutreffen und fest im Gameplays vieler Titel verankert. So war Sid Meier’s Civilization (1991) nicht einfach nur gemütliche Rundenstrategie, sondern bot auch die Möglichkeit, andere Zivilisationen kriegerisch zu unterjochen oder gar ganz auszulöschen.

Spacewar! (1962): Gewalt war in verschiedenen Abstufungen und Formen schon immer ein Bestandteil von Computerspielen.

Spacewar! (1962): Gewalt war in verschiedenen Abstufungen und Formen schon immer ein Bestandteil von Computerspielen. (Quelle: Tech Model Railroad Club)

Während Gewalt hier zumeist abstrakt oder verharmlost dargestellt wurde, ergaben sich mit der fortschreitenden Technik neue Möglichkeiten. Wegweisend war hier Doom (1993), das mit seinen 3D-Grafiken einen Meilenstein der Computerspielgeschichte markierte und das Zeitalter des Ego-Shooters einläutete. Mit besserer Technik erschienen in der Folgezeit zunehmend mehr Spiele, die Gewalt nicht mehr nur diffus, sondern recht explizit darstellten. Gleichzeitig erreichte das Medium immer mehr Spieler. Waren Computerspiele zuvor irgendwie Kinderkram oder nerdig, wurden sie Mitte und Ende der 1990er-Jahre endgültig zum Massenmedium. Das kopf- und rätsellastige Adventure- Genre, das zuvor vor allem dank Lucas Arts mit Hits wie Maniac Mansion oder The Secret of Monkey Island eine Blütezeit erlebt hatte, verschwand fast vollständig von der Bildfläche, während Action-Adventures wie Tomb Raider (1996) und Survival-Horrorspiele wie Resident Evil (1996) auf dem Vormarsch waren.

Auch der Third-Person-Shooter kam nun groß in Mode: Max Payne (2001) etwa löste eine Debatte darüber aus, ob Computerspiele nicht auch Kunst seien. Doch diese Diskussion wurde im Jahr 2002 durch den Amoklauf des 19-jährigen Robert Steinhäuser an einem Gymnasium in Erfurt in eine völlig andere Richtung gelenkt. Computerspiele – allen voran der Online-Shooter Counter-Strike – waren nun plötzlich „Killerspiele“. Wie so viele neue Medien zuvor, etwa das Kino, das Fernsehen oder auch die Comics, waren jetzt digitale Spiele in der Rolle des Unheilsbringers, der die Jugend auf den falschen Weg führte und gar eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellte. Im Laufe der Jahre wurde die häufig populistisch geführte Debatte zunehmend sachlicher, die Wahrnehmung von Computerspielen in der Öffentlichkeit änderte sich. Auch weil immer mehr erwachsene Spieler, die sich seit ihrer Kindheit mit dem Medium beschäftigen, an dieser Diskussion beteiligten. Gleichzeitig nahm der Gewaltgrad – bedingt durch immer leistungsfähigere 3D-Engines – zu.

Fachgerechtes Feind-Filetieren in Dead Space.

Fachgerechtes Feind-Filetieren in Dead Space.

Entwickler gaben den Spielern etwa in Dead Space (2008) oder der Gears of War-Reihe (seit 2006) die passenden Werkzeuge an die Hand, um Gegner fachgerecht zu zerlegen. Mittlerweile ist die schonungslose Darstellung von Gewalt in vielen actionhaltigen AAA-Titeln Usus. In Rise of the Tomb Raider (2015) beispielsweise dürfen wir zahlreiche brutale Sterbeszenen von Lara Croft bewundern, im Schleich-Hit Dishonored: Die Maske des Zorns (2012) könnt ihr eure Gegner auf grausame Weise von Rattenschwärmen verspeisen lassen und selbst in Strategietiteln wie Total War: Rome 2 (2013) findet ein DLC wie das Gemetzel Blood & Gore etliche Käufer. Das soll nun keineswegs bedeuten, dass heutige Spiele allesamt blutrünstig wären. Aber der Trend ist offensichtlich: Je größer der Markt und je besser die Technik wurde, desto gewalthaltiger und realistischer in der Gewaltdarstellung setzten Entwickler die Spiele um.

Der vollständige Artikel inklusive zahlreicher Zusatzinformationen ist am 16. Oktober 2016 bei PC Games.de sowie in der Print-Ausgabe des Magazins erschienen.