Videospiel „Murdered: Soul Suspect“ im Test: Jagen Sie Ihren eigenen Mörder!
Ein Mystery-Thriller, in dem man seinen eigenen Mord aufklärt? Klingt spannend! Doch trotz Film-noir-Flair und guter Ansätze enttäuscht „Murdered“ auf hohem Niveau. Unser Test klärt, warum.
Von Benedikt Plass-Fleßenkämper
In der Kleinstadt Salem an der Ostküste der USA fanden 1692 die berüchtigten Hexenprozesse statt. Ein dunkles Kapitel der US-Geschichte – aber der ideale Schauplatz für ein Mystery-Adventure, in dem Tod, Dämonen und Fanatismus eine zentrale Rolle spielen. „Murdered: Soul Suspect“ beginnt verheißungsvoll, verströmt von Anfang an eine beklemmende Atmosphäre, die an den Film noir und Psycho-Thriller wie „The Sixth Sense“ erinnert. Am Ende enttäuscht es aber doch: Hier wäre mehr drin gewesen.
Nach dem Tod ist vor dem Spiel
Protagonist des Spiels ist der Polizist Ronan O’Connor, ein Kettenraucher mit krimineller Vergangenheit, der seinen Indiana-Jones-Hut nie abnimmt. Und keine zwei Minuten nach Spielbeginn das Zeitliche segnet: Als er bei Ermittlungen zu einem Mordfall auf einen vermummten Unbekannten trifft, wirft der Ronan durch ein Fenster aus dem dritten Stock und verpasst ihm hinterher mehrere Kugeln. Fortan macht sich Ronan als Geist auf die Suche nach seinem eigenen Mörder. Den Grund dafür liefert die Story kurze Zeit später: Solange der Geister-Detektiv den Killer nicht ausfindig macht, ist er im Limbus gefangen. Also durchforstet man die Straßen Salems und Schauplätze wie Kirche, Friedhof, Museum und sogar eine psychiatrische Klinik nach Hinweisen auf den „Glockenmörder“.
Die erste Schwierigkeit dabei: Der tote „Murdered“-Hauptdarsteller kann weder mit lebenden Personen sprechen, noch physische Objekte der realen Welt aufnehmen oder manipulieren. Für seine Ermittlungsarbeiten stehen ihm aber spezielle Geisterkräfte zur Verfügung: So kann er durch Wände laufen und darf in die Körper von Lebenden schlüpfen und durch ihre Augen blicken, um beispielsweise auf einen Computermonitor zu schauen und in den Ermittlungsakten zu stöbern. Obendrein liest er auf Knopfdruck die Gedanken des Besessenen und wühlt in dessen Erinnerungen. Nicht minder praktisch ist die Möglichkeit, die übernommene Person zu beeinflussen, damit sie ihre Meinung ändert oder bestimmte Handlungen ausführt. Weiterhin kann sich Ronan an beliebige Positionen der Spielwelt teleportieren und so selbst entlegene Winkel der Spielwelt erreichen.
Immer geradeaus!
Stichwort Spielwelt: Diese ist mit ihren so düster wie detaillierten Umgebungen in der vom stern getesteten Verkaufsversion für Playstation 4 zwar stimmig in Szene gesetzt, lässt aber spielerische Freiheiten vermissen.
„Murdered“ läuft weitestgehend linear ab: Man nähert sich dem aktuellen Ziel, das einem per Wegweiser am rechten oberen Bildschirmrand angezeigt wird, bis man am entsprechenden Ort angekommen ist. Hier präsentiert das Spiel dann den aktuellen Fall als Aufforderung à la „Finde Hinweise auf den Glockenmörder“. Nun gilt es, das Areal sorgfältig zu inspizieren, Personen zu beobachten und zu belauschen und sich Indizien zu merken. Zudem aktiviert man immer wieder Erinnerungsspuren, die weitere Hinweise der Geschehnisse am Tatort liefern oder die Geschichte um interessante Facetten ergänzen.
Diese Flashbacks machen dank wilder Kamerafahrten und stilistisch gekonnt eingesetzter Grieselfilter optisch einiges her und zählen zu den Highlights des Spiels. Für Kurzweil sorgt die Kommunikation mit anderen Geistern: Da lernt man unter anderem einen Stalker kennen, der froh ist, als Toter nun rund um die Uhr in der Nähe seiner Angebeteten sein zu können. Oder man begegnet einem Horror-Arzt, der zu Lebzeiten Experimente an Menschen durchgeführt hat. Unheimlich!
Dämliche Dämonen
Ronans spirituellen Ermittlungsmethoden sind der Kern des repetitiven „Murdered“-Gameplays, zusätzlich muss man aber auch regelmäßig Schleichabschnitte bewältigen. In manchen Gebäuden lauern Ronan nämlich patrouillierende Dämonen auf, die ihn in die Hölle verbannen, sollte er von ihnen attackiert werden. Wird man entdeckt, nimmt man besser die Beine in die Hand und versteckt sich vor den Kreaturen. Das ist normalerweise kein Problem, da zu diesem Zweck etliche Seelen-Rückstände in der Spielwelt herumschwirren, in die sich Ronan hinein teleportieren kann. Außerdem hat man einerseits die Möglichkeit, die Dämonen abzulenken, indem man Raben aufschreckt, andererseits kann man sich von hinten an sie heranschleichen und sie eliminieren: Einfach blitzschnell die auf dem Bildschirm angezeigte Taste betätigen, Dämon tot.
Diese Prozedur gestaltet sich recht simpel, da die Gegner auf fixen, vorberechneten Bahnen unterwegs sind. Also wartet man einfach, bis der Feind einem den Rücken zugekehrt hat, huscht aus seinem Versteck – und schlägt zu. Schade: Neue Gegnertypen, Kampffähigkeiten oder sonstige Abwechslung sucht man vergeblich. Die Stealth-Elemente wirken aufgesetzt, fast so, als hätten sie die Entwickler nachträglich implementiert.
Ohne Konsequenzen durch die Schlauchwelt
Das größte Problem von „Murdered“ ist, dass die Aktionen des Spielers kaum Konsequenzen haben. Ermittlungsfehler werden grundsätzlich nicht bestraft. Hat man genügend Hinweise zusammengekratzt, wählt man aus seinen gesammelten Indizien drei Fakten aus, bis man auf des Rätsels Lösung kommt. Ob man dabei mehrfach daneben liegt, ist dem Spiel egal – mit wildem Ausprobieren kommt man genauso weit wie mit klugem Kombinieren. Somit lässt „Murdered“ den Spieler nicht spüren, wenn er etwas falsch macht. Das ist schade, zumal das Detektiv-Abenteuer nur über einen Handlungsstrang verfügt. Zu keinem Zeitpunkt muss man sich wirklich anstrengen oder logisch denken.
Der Plot wird stellenweise spannend, aber immer wieder auch belanglos erzählt. Und das Ende lässt einen doch eher unbefriedigt bis ratlos zurück. Den Abspann sieht man je nach Spielweise nach etwa acht bis zehn Stunden – wer mag, kann in Salem etliche optionale Plaketten und Hinweise einsammeln, die zum Beenden des Spiels aber nicht nötig sind. Die Charaktere sind sicherlich Geschmackssache; gerade die Hauptfigur kommt nicht sonderlich sympathisch herüber. Liebenswerter ist das schon Ronans Sidekick Joy, der schon recht früh in die Handlung integriert wird: Das 15-jährige Mädchen ist ein Medium, das auf der Suche nach seiner spurlos verschwundene Mutter ist, die als Profilerin gearbeitet hat. Das ungleiche Duo muss an manchen Stellen zusammenarbeiten, der Anspruch hält sich hier erneut arg in Grenzen. Hin und wieder muss Ronan per „Poltergeist“-Fähigkeit eine Überwachungskamera ausschalten, damit Joy etwa ungesehen durch ein Polizeirevier huschen kann. Oder der Cop macht es sich kurzzeitig in Joys Körper gemütlich, um so gefahrlos für ihn unpassierbare Dämonenfallen zu überqueren. Sonderlich aufregend ist das leider nicht.
Ebenso enttäuscht die teils puppenhaft wirkende Mimik der Charaktere speziell auf den Next-Gen-Konsolen und PC. Da machen die wenigen Passagen, in denen man eine Katze kontrolliert, um durch Lüftungsschächte zu flitzen, schon wesentlich mehr Spaß. Obwohl die zahlreichen Dialoge nicht immer lippensynchron ablaufen, verdient sich die deutsche Synchronisation ein Lob.
Fazit: Geistreiches Spiel, aber viel Potenzial verschenkt
Man merkt „Murdered“ an, dass seine Macher große Ambitionen hatten. Doch wer sich ein zweites „Heavy Rain“ erhofft, dürfte enttäuscht werden. Zu starr ist das Korsett, das einem die Entwickler überstülpen – es fühlt sich an, als würde man regelrecht durchs Spiel gescheucht werden. Moralische oder schwerwiegende Entscheidungen, die spürbaren Einfluss auf den Spielverlauf nehmen? Fehlanzeige. Hinzu kommen Story-Durchhänger, monotones Gameplay, aufgesetzt wirkende Stealth-Einlagen und einige nervige Bugs (im Test änderte sich etwa nach einer Stunde Spielzeit das im Hauptmenü angezeigte Missionsziel, das längst abgeschlossen war, bis zum Ende nicht mehr). Unterm Strich sicherlich kein schlechtes Spiel, das Fans von Detektiv-Adventures durchaus gefallen könnte. Der erhoffte Superhit ist „Murdered“ aber leider nicht.
Hersteller/Vertrieb: | Airtight Games / Square Enix |
Genre: | Action-Adventure |
Plattform: | PC, Playstation 3, Playstation 4, Xbox 360, Xbox One |
Preis: | 30 Euro (PC), 40 Euro (PS3, Xbox 360), 50 Euro (PS4/Xbox One) |
Altersfreigabe: | Ab 16 Jahren |
Erschienen am 06. Juni 2014 bei stern.de.