Die neue Spiele-Härte

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Härter als die Spielepolizei erlaubt: Schwergewichter wie „Dark Souls“, „Lords of the Fallen“ und „The Evil Within“ sind Vertreter einer neuen Games-Gattung – sie gehören zur „Neuen Härte“.Sie wurden für solche Spieler konzipiert, die es ganz genau wissen wollen. Für die Hartgesottenen. Für die Vollblutprofis. Und für die digitalen Masochisten. play4 macht sich auf die Suche nach dem ultimativen Härtekick – und folgt dabei einer Spur aus Schweiß, Pixelblut und Gamer-Testosteron.

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Report I Ende der Achtzigerjahre in einer Spielhalle: Um einen Automaten schart sich eine Truppe Halbstarker. Einer von ihnen steht an den „Schalthebeln der Macht“, navigiert mit geübten Stick-Schlenkern seinen Pixelhaufen durch einen Hagel aus Projektilen und Alien-Raumschiffen. Während seine Freunde grölen und eine Münze nach der anderen in den Automaten wandert, wird seine Anspannung immer größer. Als er endlich die Grenze zur Boss-Stage durchfliegt, ist jeder Nerv zum Zerreißen angespannt; seine schweißnassen Finger rutschen fast vom Controller.

Dann die letzte Schlacht: Die Seeanemonen-artigen Tentakel, die das Maul des Endgegners versperren, öffnen sich zitternd und speien eine zielsuchende, rotierende Energiesphäre in den Level. Unser Spieler weicht dem Beschuss mit sicheren Manövern aus – denn er hat diese Stelle schon unzählige Male gespielt und dabei ein kleines Vermögen in die Maschine gesteckt. Inzwischen weiß er genau, welche Satelliten und welche Upgrades sein Schiff braucht, um diese Situation meistern zu können; er weiß, wie er die Lücke findet und mit welchem Trick er den Boss dazu bringen kann, sich selber in die Luft zu jagen. Zumindest theoretisch. Wirklich bis zum Ende durchgehalten hat er in dieser Situation noch nie.

Aber heute ist es so weit – das spürt er, als er mit schlafwandlerischer Sicherheit auch dann noch die Kontrolle über sein Bildschirm-Konterfei bewahrt, als ihm die mittlerweile vierte zielsuchende Energiesphäre aus dem weit geöffneten Rachen des Ober-Aliens entgegenrast. Die Feindbewegungen werden immer schneller, der Bildschirm voller und der Schweiß rinnt in Strömen über die Stirn des Spielers. Inzwischen lässt er sein Schiff so schnell durch den Level zischen, dass ihm die Augen kaum noch folgen können – einem Speed-Powerup an der richtigen Stelle sei Dank.

Dann – eine gefühlte Ewigkeit später – endlich die erlösende Kettenreaktion: Der Bossgegner zündet aus lauter Frust die Selbstzerstörung und verendet in einem Inferno aus unzähligen, kleinen sichelförmigen Explosionen. Der Spieler sackt erschöpft in sich zusammen… und die Gruppe tobt, als hätte er gerade den Elfmeter bei einem Meisterschaftsspiel versenkt. Aber es gibt eben Dinge, die sind Nerds wichtiger als ein Fußballpokal. Nur dass Ende der Achtziger kaum einer Verständnis hat für einen Haufen Jugendlicher, die ihre Zeit dabei „vergeuden“, in der hintersten, schattigsten Ecke einer Spielhalle herumzustehen und stundenlang gebannt vor Irems „R-Type“ dem finalen Boss entgegenzufiebern.

Von Atlantis bis ins Horrorhaus

Und so geht es in den folgenden Jahren munter weiter: Die Truppe verbringt weiterhin kostbare Lebenszeit dabei, mit schweißnassen Fingern im letzten Moment die alles entscheidende Smart-Bombe auszulösen. Oder in einem scheinbar unmöglichen 16-Bit- Jump&Run besonders nervige Sprünge nach etlichen Stunden doch noch zu schaffen nicht um Haares-, sondern um Pixelbreite. Schließlich brüten sie vor dem PC-Monitor, während sie mit Indiana Jones die bockharten Rätsel um das „Fate of Atlantis“ lüften. Bei „Eye of the Beholder 2“ frisieren sie mithilfe eines Editors ihre Charakterdaten, um den unschaffbaren Boss-Drachen am Ende des Dungeons doch noch zu bezwingen. Außerdem bannen sie die Mega-Drive-Verliese aus „Shining in the Darkness“ Schritt für Schritt auf Kästchenpapier, um heillosem Orientierungschaos beim nächsten Besuch vorzubeugen.

Und dann der erste große Playstation-Zock der Truppe: Man verbringt ungezählte Stunden in der Villa von „Resident Evil“, bis man endlich kunstvoll auf der Ideallinie zwischen Bodycount, Heilkräuterkonsum und Munitionsverschleiß wandelt.

Früher war alles härter

Unser Blick in die Spielehistorie beschwört Bilder aus einer Zeit herauf, in der Games noch ausgesprochene Profikost waren – und sich Spieler nicht selten auf Kompetenz Augenhöhe mit den Entwicklern bewegt haben. Die Erschaffung eines Spiels schien eher die Arbeit eines engagierten Fallenstellers als die eines digitalen Entertainers zu sein „Entwickler gegen Spieler“ lautet oftmals die Devise. Kein Wunder, denn die Ursprünge des digitalen Spielens waren vor allem dort zu finden, wo sich unsere erste Beispielszene zuträgt: In den „Arcades“ der Achtziger- und Neunzigerjahre – und dort ging es den Betreibern nicht in erster Linie darum, ihre Kundschaft zu unterhalten, sondern ihr das Kleingeld aus der Tasche zu ziehen.

Als Firmen wie Sega, Nintendo und Taito schließlich damit anfingen, die Spielhallenhits auf frühe Konsolen- und Heimcomputer- Systeme zu portieren, war die Arcade-Atmosphäre noch immer omnipräsent. Ebenso wie ihre gnadenlose Spieldesign-Doktrin. Doch in den letzten 25 Jahren haben sich die Regeln des Marktes dramatisch verschoben – und mit ihnen auch die Richtlinien, nach denen Spiele entwickelt werden. Das Medium ist den Spielhallen und dem Nischendasein entwachsen, die Produktionen von heute entstehen mit Hollywood-Budgets und werden für ein Millionenpublikum entwickelt.

"Sarcophaser"

„Sarcophaser“

Auf derart teuren Projekten lastet ein unglaublich großer Erfolgsdruck. Ob „Assassin’s Creed“, „Far Cry“, „Destiny“ oder „Mass Effect“ – Triple-A-Blockbuster sind jederzeit darum bemüht, einerseits so zugänglich wie möglich zu sein, auf der anderen Seite aber auch dem Profi so viel Inhalt zu bieten, dass er sich daran auf und abarbeiten kann. Zumindest theoretisch: Tatsächlich halten uns Episoden aus den erwähnten Serien vor allem durch ihren schieren Umfang bei der Stange.

Das hat auch Andreas von Lepel bemerkt: Der App-Entwicklungschef beim Friedrich Oetinger-Verlag und ehemalige Bravo-Screenfun-Chefredakteur ist außerdem Indie Entwickler. Unter seinem eigenen Label Frozen Gun Games hat er mit dem knobeligen Geschicklichkeitstest Freeze für iOS und Android einen mehr als respektablen Selfmade-Hit gelandet, der über acht Millionen Downloads verzeichnen konnte. Auch in der frühen Heimcomputer- Zeit war von Lepel als Entwickler aktiv: Das an „R-Type“ angelehnte Amiga-Shoot-’em-Up „Sarcophaser“ war ein echter Selbstläufer, mit der innovativen Echtzeitstrategie „Splitterwelten“ hatte der junge Garagen-Entwickler dagegen weniger Glück. Wie viele in der „Homebrew“-Szene entstandene Titel zeichneten sich von Lepels Spiele nicht zuletzt durch ihren hohen Schwierigkeitsgrad aus. Hier durchzukommen, das war echte Schwerstarbeit.

„Demon’s Souls“

Lepel dazu: „Meine Spiele waren aus dem einfachen Grund härter, dass nicht so viel Content drinsteckte. Also musste das Spielerlebnis künstlich in die Länge gezogen werden. Und am einfachsten fiel das nun mal, indem man den Schwierigkeitsgrad ordentlich in die Höhe schraubte.“

Heute wird eher umgekehrt ein Schuh draus: lieber groß, offen und seicht als klein und knackschwer. Titel wie das jüngst veröffentlichte „The Order: 1886“ von Ready at Dawn werden bereits für ihre „kurze“ Spieldauer von unter zehn Stunden attackiert. Die Tradition, nach der man kurze Titel immer wieder durchspielt und genießt, scheint tot und begraben.

Eine Tradition, die Klassiker wie „Resident Evil“ hervorgebracht hat, die wir so lange gespielt haben, bis unsere virtuelle Körperbeherrschung perfekt und unsere Kenntnis um die Spielareale lückenlos war. Doch was ist, wenn man den hohen Schwierigkeitsgrad von damals mit dem Spielumfang von heute paart? Dann hat man ein echtes Schwergewicht vor sich: Geboren aus dem Hunger nach einer wahrhaftigen Herausforderung ist ein Trend der „Neuen Härte“ entstanden. Wegbereiter dieser Erscheinung sind vor allem From Softwares „Dark Souls“-Titel, die das Zockerfeld in ein Genießer- und ein Masochistenlager spalten. Die einen wollen sich in der digitalen Gegenwelt einfach entspannen und unbeschwert Abenteuer erleben – die anderen sich regelrecht darin totschuften.

Der vollständige Artikel mit zahlreichen Extrakästen ist in play4 04/2015 erschienen.