Videospiel „Killzone: Shadow Fall“ im Test: Mein Freund, die Drohne

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„Killzone: Shadow Fall“ ist eine opulente, düstere Action-Dystopie und der wohl beste Kaufgrund für die neue Playstation 4. Doch trotz Bombast-Optik fehlen dem Shooter die besonderen Momente.

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper und Benjamin Kratsch

Geschwungene Flügel aus ultraleichtem Karbon, zwei Miniguns an den Seiten und ein schützender Energieschild: Die taktische Drohne „Owl“ ist nicht nur ein nützliches Hilfsmittel für „Killzone: Shadow Fall“-Protagonist Lucas Kellan, sondern auch eine Art Symbol für die neue Konsolen-Generation. Die Leichtigkeit, mit der sie durch die riesigen Levels schwebt und dem Spieler per Enterhaken den Zugang zu ganz neuen Abschnitten ermöglicht – das ist das, was man sich unter dem Begriff „Next-Gen“ vorstellt. Technisch ist der Ego-Shooter des Amsterdamers Entwicklers Guerilla Games ein Fest – aber überzeugt er auch spielerisch und erzählerisch?

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Weniger Klischees, bitte

Shooter-Entwickler lieben offenbar Klischees: Chinesen, Russen oder Nordkoreaner sind böse und wollen die USA überrennen. Warum? Egal! Auf jeden Fall sind sie in den meisten Ego-Schießereien der erklärte Feind – und um das dem Konsumenten einzubläuen, gibt’s in Spielen wie „Call of Duty“ nicht selten gleich in der ersten Mission eine Szene mit Massenerschießungen von Zivilisten. Anschließend jagt der Spieler nonstop den bösen Terroristen hinterher – fertig ist die 08/15-Handlung. Die „Shadow Fall“-Entwickler versuchen glücklicherweise mit ihrer Geschichte aus dem klassischen Schwarz-Weiß-Muster auszubrechen. Das gelingt zwar nur streckenweise, ist aber dennoch eine willkommene Abwechslung zum Hurra-Patriotismus vieler anderer Ballerspiele.

Nun lässt auch in „Shadow Fall“ der Feind – die Helghast – im Zentrum der Hightech-Stadt Vekta City eine Bombe hochgehen. Das ist ziemlich prekär, haben die Vektaner den Helghast immerhin die Hälfte ihres Planeten abgetreten und leben mit ihnen in einem nervösen Waffenstillstand. Doch Guerilla Games macht es sich nicht so einfach wie die Konkurrenz und stempelt die Helghast von vorneherein als den ultimativen Buhmann ab. Stattdessen lässt man in Dialogen, Monologen und Zwischensequenzen beide Seiten zum Zug kommen.

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Wer die drei Vorgängerspiele nicht kennt, dürfte von der komplexen Story manchmal überfordert sein. Immerhin bekommt man oberflächlich erzählt, was eigentlich geschehen ist: Die Helghast waren früher ganz normale Bürger, die sich gegen das elitäre Klassensystem der regierenden Interplanetarischen Strategischen Allianz, kurz ISA, wehrten. Daraufhin wurden sie von ihrem Heimatplaneten verbannt und auf den Planeten Helghan geschickt. Der wiederum bot interessante Rohstoffe, weshalb die ISA unter einem Vorwand versuchte, die Helghast mittels einer militärischen Intervention auszulöschen.

Jenseits von Gut und Böse

Der Konflikt zwischen Vektanern und Helghast erinnert an die Jahre des Kalten Kriegs. Der Spieler ist hier nicht der strahlende Held, der die Welt rettet. Sondern eigentlich nur der schwer bewaffnete Laufbursche für das ISA-System, das eine große Mauer aufbaut und die überlebenden Helghast dahinter einpfercht. „Shadow Fall“ gibt sich gerade mit langen Ausflügen in die verarmten Slums von New Helghan viel Mühe und zeigt, dass bei den Helghast friedliche Menschen leben, die den Krieg satt haben. In gleichem Maße tummeln sich in den Helghast-Reihen jedoch die aggressiven Hardliner, die mit Terror die Macht in Vekta an sich reißen wollen.

So sehr man aber den Entwicklern für die ambitionierte Erzählstruktur von „Shadow Fall“ auch dankbar ist, umso mehr fallen ihre Schwächen auf. Logikfehler reihen sich hier nur so aneinander. Beispiel: Warum lebt die zivile Helghan-Bevölkerung in bitterer Armut, auf der anderen Seite kann sich die Armee aber modernste Ausrüstung und Schlachtschiffe leisten? Das wird nie erklärt.

Zudem macht man zwar Bekanntschaft mit exzellent geschriebenen Charakteren wie der Halb-Vektanerin Echo, die als Agentin für die Helghast arbeitet und den ewigen gegenseitigen Terror beenden will. Doch dann nerven wiederum stereotype Feindbilder: Die meisten Soldaten und Führungspersönlichkeiten der Helghast erinnern mit ihren brennend roten Augen und der Gasmaske an die dunklen Sith-Lords aus „Star Wars“ – damit ja auch der letzte Spieler versteht: die hier, die Bösen. Das ist alles andere als subtil. Genauso wenig wie der Umgang mit sensiblen Themen wie Rassismus, die meist mit dem Vorschlaghammer behandelt werden.

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15 Jahre in 30 Sekunden

Nicht minder störend: Der Geschichte fehlt der innere Zusammenhang. Nach einem furiosen Beginn, in dem man den Helden Lucas Kellan als kleinen Jungen spielt, der mit seinem Vater eine dramatische Flucht erlebt, macht das Spiel plötzlich einen Zeitsprung, packt die nächsten 15 Jahre in weniger als 30 Sekunden lieblos aneinandergereihter Zwischensequenzen und stellt einen vor vollendete Tatsachen: Man ist plötzlich ein Elite-Soldat – im Spiel „Shadow Marshal“ genannt – und mit einem Geheimdienst-Kriegstreiber befreundet. Noch Fragen? Die hätte man sicherlich, doch „Shadow Fall“ lässt einem gar nicht die Chance, die Entwicklung des Hauptcharakters nachzuvollziehen.

Dieses konfuse Storytelling zieht sich auch durch den Rest des Spiels: Vor allem in der ersten Hälfte von „Shadow Fall“ absolviert man einen scheinbar willkürlich an den nächsten gereihten Einsatz, weiß aber kaum, warum man da gerade Geiseln gerettet oder eine Bombe entschärft hat. Handlungsstränge bauen sich insgesamt zu langsam auf – und mit der Logik nimmt es Guerilla Games ohnehin nicht immer so genau: Heißt es eben noch in einer Zwischensequenz, man soll in einer Mission lautlos vorgehen, artet diese nur kurze Zeit später in einen Gewaltexzess aus, in dem man alles nieder ballert, was einem vor den Lauf kommt. Zu diesem fehlenden roten Handlungsfaden kommen oft dümmliche Dialoge und eine schwache deutsche Sprachausgabe. Von der Erzählkunst eines Genre-Klassikers wie „Half-Life 2“ ist das meilenweit entfernt.

Das schönste PS4-Spiel

Story hin oder her, viele frisch gebackene PS4-Besitzer dürfte vor allem die technische Umsetzung des Ego-Shooters interessieren. Und hier spielt „Shadow Fall“ seine Stärken voll aus. Die Explosionen haben mächtig Druck, hinterlassen darüber hinaus volumetrischen Rauch, der je nach Breite eines Ganges die Sicht behindert. Rennen dann noch Helghast-Eliteeinheiten rein und blenden mit aufgeschraubter Maglite, ergibt sich ein Gewirr aus visuellen Eindrücken, das oft von einem flutartigen Explosionseffekt verstärkt wird, wie man ihn aus Hollywood-Blockbustern kennt. Die Haut-Texturen der meisten Figuren sind beeindruckend detailliert: Dezente Schnittwunden an der Lippe, kleine Fältchen, ja sogar feine Hautunreinheiten zeigt das Spiel. „Shadow Fall“ sieht auf der 400-Euro-Konsole Playstation 4 fast so gut aus wie „Crysis 3“ auf einem 1400-Euro-PC.

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Taktischer Multiplayer-Modus
Hat man sich durch die zehn riesigen Levels der Kampagne durchgeballert und die Story beendet, wartet „Killzone: Shadow Fall“ noch mit einem Mehrspieler-Part auf. Insgesamt 24 Spieler dürfen sich online in verschiedenen Modi austoben, von denen vor allem die zielbasierten Varianten viel Spaß versprechen. Das Spieltempo ist hier recht gemächlich, was sich in eher taktisch geprägten Duellen äußert. Unterm Strich eine gelungene Dreingabe, die aber hinter den Mehrspieler-Parts aktueller Konkurrenten wie „Call of Duty: Ghost“ und „Battlefield 4“ zurückbleibt.

Raus aus dem Schlauch

Prima gelungen ist des Weiteren das Leveldesign: „Shadow Fall“ läutet das Ende des berüchtigten Schlauch-Shooters ein und traut seinen Spielern endlich mal wieder etwas mehr Intelligenz, taktisches Feingefühl und Ideenreichtum zu. Trotz einer geskripteten Einzelspieler-Kampagne, die dem Spieler rund zehn Stunden lang vorberechnete Abläufe in der Handlung serviert, gibt es immer wieder Open-World-Elemente mit Handlungsfreiheit. Insgesamt bemüht sich das Spiel stark um Abwechslung und lässt dem Spieler die Möglichkeit zu entscheiden, wie er eine Situation lösen will. Etwa beim Sturm auf ein Penthouse, aus dem man Geiseln befreien soll: Lucas Kellan kann Wachposten umschleichen und sehr nahe an die zu rettenden Personen gelangen. Oder er befiehlt per Druck auf das Touchpad des neuen DualShock-4-Controllers seiner Drohne, ein Ablenkungsmanöver zu starten, um so unerkannt in den nächsten Raum zu gelangen.

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Eine Drohne namens Owl

Überhaupt, die Drohne: Der Hightech-Begleiter erweitert „Shadow Fall“ um eine interessante spielerische Komponente, die den Spieler zum Experimentieren ermutigt. Die Funktion von Owl verändert man mit einem Wischen über das Touchpad im Zentrum des PS4-Gamepads. So kann man sie etwa anweisen, die Zeit zu verlangsamen, um anschließend zwei Kopfschüsse in Zeitlupe zu setzen. Mit einem Klick auf die L1-Taste lässt man sich ein Schutzschild schicken oder befehligt der Drohne einen Angriff mit dem MG oder der EMP-Ladung. Obendrein dient Owl als Transportmittel: Von höheren Stellungen aus lässt sich Lucas mit einem Seilzug an den gewünschten Ort schicken. Ebenfalls praktisch: Haucht der Spieler in den Gefechten mit den Helghast mal sein Bildschirmleben aus, belebt ihn die Drohne wieder – genügend Adrenalin vorausgesetzt, das man in den Levels finden kann.

Die Hauptfigur besitzt außerdem einige spezielle Hilfsmittel, die ihr das Leben in der feindlichen „Killzone“-Welt erleichtern. Durch das Halten des Digital-Kreuzes scannt man beispielsweise die umliegende Umgebung. Dort befindliche Feinde oder auch Geschütze werden dann farbig hervorgehoben. Diese Funktion ersetzt sozusagen den Radar, den man in anderen Ego-Shootern zur Verfügung hat. Innovativ: „Shadow Fall“ nutzt den im Controller integrierten Lautsprecher zum Abspielen von Audio-Logs. Auch wenn diese teils schlecht übersetzt wurden, ist der Effekt durch den knarzigen Lautsprecher-Sound schön atmosphärisch. Diese Elemente hätte Guerilla Games viel häufiger einsetzen sollen, denn die Geschichte bleibt, wie schon erwähnt, letztendlich auf der Strecke.

Fazit: das gewisse Etwas fehlt

„Killzone: Shadow Fall“ ist nicht das erhoffte perfekte Action-Erlebnis: Es schwächelt vor allem mit Logiklücken in der Geschichte, enttäuscht mit mäßiger, nicht-lippensychroner Sprachausgabe und dem Fehlen wirklicher „Aha“-Momente, wie sie Titel wie „The Last of Us“ oder „Bioshock Infinite“ dieses Jahr geboten haben. Dafür überzeugen die großen Levels, die spielerischen Freiheiten, der spaßige Drohnen-Begleiter und vor allem die technische Umsetzung. Zum großen Shooter-Meilenstein reicht das zwar nicht, das Spiel demonstriert aber mit seiner Hochglanz-Optik eindrucksvoll, wie viel Power in der neuen Playstation 4 steckt und was man von der neuen Sony-Konsole in Zukunft noch erwarten darf. Wer also das ideale Vorzeige-Game für seine neue PS4 sucht, der wird bis Weihnachten nichts Besseres finden.

Hersteller Guerrilla Games
Vertrieb Sony
Genre Actionspiel
Plattform Playstation 4
Preis 70 Euro
Altersfreigabe Ab 18 Jahren

Erschienen am 28. November 2013 bei stern.de.