„WildStar“: Space-Cowboys im LSD-Land

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Das Online-Rollenspiel „WildStar“ richtet sich an Hardcorespieler – mit hohem Anspruch, Anarcho-Humor, Comicoptik und 40-Spieler-Schlachtzügen. Kann das funktionieren?

Von Benedikt Plass-Fleßenkämper

Casual Games wie Quizduell und Farmville haben einen Trend ausgelöst: Digitale Spiele werden immer einfacher und taugen im Idealfall für die flotte Runde in der Mittagspause. Selbst das komplexe Genre der MMORPGs geriet in den vergangenen Jahren in Verruf, den Spielern immer weniger abzuverlangen. Das führende Online-Rollenspiel World of Warcraft, kurz WoW, veränderte sich seit seiner Veröffentlichung massiv und vereinfachte das Spielsystem immer weiter.

Mit WildStar (PC) möchten die Entwickler von Carbine Studios die Spieler und ihre Fähigkeiten wieder fordern. Ihr Titel richtet sich laut Executive Producer Jeremy Gaffney an die Kenner des Genres. Im Gespräch mit ZEIT ONLINE nennt der Entwickler zum einen Hardcore-Spieler, die viel Zeit mit organisierten Gruppenaktivitäten verbringen, als Kernzielgruppe.

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WildStar soll aber auch die etwas älteren Fans von Onlinespielen ansprechen: Eine „breitere Kernspieler-Basis“ von Kunden, deren Freizeit durch Job und Familie zwar beschränkt ist, die tiefgründige Spielsystemen aber immer noch schätzen, „das ist das Herz des Marktes, diese Gruppe müssen wir vor allem glücklich machen“, sagt Gaffney.

World of Warcraft 2.0?

Wie soll dies gelingen? Ziel es war es, ein Spiel wie WoW zu machen, „diesmal aber richtig“, sagt Gaffney gegenüber dem britischen Branchenmagazin CVG. Kein Wunder, gehörten doch 17 Ex-Blizzard-Mitarbeiter, die zuvor an WoW mitgearbeitet hatten, zum Gründungspersonal des 2005 eröffneten Studios.

WildStar kann den Einfluss nicht leugnen: Das Spiel wirkt wie WoW 2.0 – im positiven Sinn. Es greift viele bewährte MMORPG-Mechanismen auf, etwa im  Charakter- und Klassensystem. Pro Fraktion stehen den Spielern vier Völker und sechs Charakterklassen zur Wahl, wahlweise spielen sie als schadenabsorbierender Tank, als Heiler oder Schadensverursacher, können aber dank eines flexiblen Systems – so die Klasse es zulässt – jederzeit die Rolle wechseln. Diese „Heilige Dreifaltigkeit“, wie es im Rollenspieljargon heißt, ist bewährt.

Dennoch spielt sich WildStar frisch, was vor allem an der Steuerung liegt, die bewegungsintensiven Schlagabtausch fördert: Die Spieler können Saltos schlagen, Doppelsprünge hinlegen und im Kampf per Hechtrolle ausweichen. Zudem verlangt WildStar manuelles Zielen. Der eingeblendete Wirkungsradius hilft beim Anvisieren, damit möglichst viele Gegner gleichzeitig Schaden abbekommen. Im Multiplayer sind nützliche Zauber der Mitstreiter als grüne Flächen gekennzeichnet, in die man sich begeben sollte, um von Heilung oder anderen Stärkungen zu profitieren. Das ist ebenso intuitiv wie abwechslungsreich.

Mit dem Hoverboard durch die Westernwelt

Gewöhnungsbedürftig ist die Aufmachung. Die knallige, detailreiche Grafik sieht aus, als hätten sie die Designer unter LSD-Einfluss programmiert. Wenn der Spieler mit dem Hoverboard wie Marty McFly in Zurück in die Zukunft II durch die Comicwelt prescht, im Hintergrund eine Lagerfeuer-Gitarre einsetzt, erinnert das stark an einen Weltraum-Western. Der Planet Nexus, auf dem „Die Verbannten“ und „Das Dominion“ wie Space-Cowboys um die Vorherrschaft kämpfen, ist eigenwillig, bunt, anarchisch – und obendrein voll von augenzwinkerndem Humor.

WildStar nimmt sich, seine Figuren und Geschichten zwar nicht sonderlich ernst, dafür aber die Spieler: Es liefert schon in der Levelphase – dem Weg bis zum Erreichen der maximalen Charakterstufe – jede Menge Stoff für gepflegten Eskapismus. 80 bis 150 Stunden soll es nach Entwickleraussagen dauern, bis die Spieler das Höchstlevel 50 erreichen.

„WildStar“ feiert die Rückkehr der Schlachtzüge

Danach ist noch lange nicht Schluss. Das so wichtige „Endgame“ lockt den Spieler mit zahlreichen Möglichkeiten, um seinen Charakter weiter zu verbessern und hochwertige Ausrüstung abzustauben. Dabei haben sowohl Multiplayer als auch Einzelkämpfer reichlich zu tun, wobei gerade Gilden auf ihre Kosten kommen. Denn ein Aspekt, den Spieler am klassischen WoW besonders schätzten, feiert inWildStar sein Comeback: Epische Schlachtzüge für 40 Spieler, die von ihren Teilnehmern ein großes Maß an Spielverständnis erfordern. Diese Mega-Raids wurden aus WoW längst entfernt, in WildStar stellen sie das Highlight der PvE (Player versus Environment)-Aktivitäten dar.

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Dass es Carbine Studios mit seinem Hardcore-Ansatz ernst meint, unterstreicht der hohe Schwierigkeitsgrad der Schlachtzüge: Die Computergegner verändern wöchentlich die Fähigkeiten. So sollen die Gefechte unberechenbar bleiben – und den Spielern immer wieder neue Strategien abverlangen. Automatische Gruppenfindung ist in WildStar lediglich in Fünf-Spieler-Instanzen sowie für Spieler-gegen-Spieler-Duelle möglich. Die gibt es in mehreren Varianten, von überschaubaren Arenakämpfen bis hin zum taktischen Kriegsbasen-Modus, in dem sich Teams von jeweils 40 Spielern gegenüberstehen.

Neue Inhalte dank Abo-Modell

Für Abwechslung soll zudem das Abo-Modell sorgen, das regelmäßig neue Inhalte liefert. „Unser Versprechen an die Spieler lautet: Du gibst uns jeden Monat Geld und wir geben dir dafür jeden Monat eine Menge neuer Sachen. Ich denke, solange wir unser Versprechen halten, werden die Leute glücklich sein“, sagt Gaffney.WildStar bietet dabei eine Bezahloption an, die dem PLEX-System aus EVE Online ähnelt – und Vielspieler belohnt: Die Nutzer können die Spielgebühren auch mit im Spiel verdientem Gold bezahlen.

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Die Chancen, dass WildStar auf längere Sicht Erfolg hat, stehen gut: Es schnürt das Beste aus anderen Onlinespielen zu einem attraktiven Gesamtpaket zusammen und weist mit seinen 40-Spieler-Dungeons ein Alleinstellungsmerkmal auf, das Hardcore-Spieler anspricht. Am Ende erinnert WildStar an die Zeiten, in denen MMORPGs noch ein Tummelplatz für Spieler waren, die hohen Anspruch und das damit einhergehende Scheitern als wichtigen Bestandteil des Genres nicht nur in Kauf nahmen, sondern genau das an ihm liebten.

Erschienen am 03. Juni 2014 bei Zeit Online.